München, 22. II. 15.
Leopoldstr. 87.
Lieber Wien!
Es tut mir von Herzen leid, dass es Ihrer lieben alten Mutter schlecht geht. Auch wir haben viel Sorge um meinen Schwiegervater, dessen Zustand augenblicklich wieder sehr gequält ist, ähnlich wie bei Vater Mehler.
Ehe durch das Rundschreiben eine Art häuslicher Streit entsteht, würde ich es fast lieber unterdrücken. Viel kommt ja doch nicht dabei heraus. Ich habe dieser Tage ohnehin an Paschen zu schreiben. Da er in seinem letzten Brief von der Sache angefangen hat, //kann ich versuchen,// werde ich ihm schreiben, dass ich kein Bedenken habe. Ich kann an Skilaufen nicht denken. Da ich mich beim Militär gemeldet habe, muß ich hier bleiben und warten, ob man mich braucht.
Meine Arbeit für das Röntgenheft geht morgen vom Institut aus ab. Sie wendet sich im Grunde gegen eine Note von Lorentz, in der er sich m.M.n. gründlich verhauen hat. Ich denke aber, dass die polemische Seite so zart behandelt ist, dass nur Lorentz selbst sie bemerken wird - falls er die Arbeit liest.
Mit der Röntgenstiftung haben wir uns misverstanden. Ich meinte - anschließend an Gädeckes letzten Brief an Boveri -, man solle an alle Spender das Geld zurückgeben u. R.[öntgen] nur von der guten Absicht mitteilen. Dann hätte auch die Zurückgabe an die feindlichen Ausländer nichts Peinliches. Dagegen, Solvay z.B. seine 1000 Fr. ohne Weiteres zurückzuschicken, habe auch ich protestirt und bereits einen Brief an ihn aufgesetzt, /2/ um ihn zu fragen, ob er unter jetzigen Verhältnißen das Geld ev. für andere Zwecke bestimmte. Der Brief ist nicht abgeschickt. Gädecke wartet noch auf Antwort von Boveri. Wird Boveri selbst die Mappe überbringen?
Wir stecken in der chemischen Berufung, die natürlich nicht ohne Reibung geht. Röntgen macht sich Gewissensbisse, Knorr nicht auf die Liste zu setzen. Er meint, es sei uncontrollirbares Gerede, das gegen ihn umläuft. Wissen Sie etwas Positives über seine Vernachlässigung des Laboratoriums? R. lässt Sie bitten, in diesem Falle uns etwas mitzuteilen.
Ich habe in diesem Semester über Bohr gelesen und bin äusserst dafür interessirt, soweit der Krieg es zulässt. Die heutigen 100000 Rußen sind freilich noch schöner wie die Erklärung der Balmer'schen Serie bei Bohr. Ich habe schöne neue Resultate dazu.
Möge Ihre liebe Mutter nicht zu viel leiden!
Ihr
A. Sommerfeld.
Der Brief hat einiges Misgeschick gehabt. Ich besinne mich, dass ich das "hier" auf der Adresse mit Ärger über meine Zerstreutheit ausstrich. Dann aber habe ich "München" darauf geschrieben.
Röntgen hat jede Deputation abgelehnt, will womöglich auch aus Weilheim verschwinden. Ich soll das als definitive Antwort ansehn u. werde auch unserer Fakultät so berichten. Übrigens fühlt er sehr die gute Meinung.
Debyes Arbeit haben Sie wohl inzwischen bekommen.