München, den 3. V. 1915.
Universität
Ludwigstrasse 17.
Lieber Wien!
Die Antwort auf den beifolgenden Brief von Wiedemann wollte ich aufschieben, bis ich Sie gesprochen hätte. Jetzt schreiben sie mir vielleicht ein Paar Bemerkungen dazu an den Rand. Meine Bleistiftbemerkungen sind das, was ich darauf antworten würde.
Ich war in Göttingen u. Berlin und habe mehrfach auch über Ihr Rundschreiben mit Collegen gesprochen. Es wird meist nicht als glücklich bezeichnet, weil Punkt 1.) als Aufforderung zum Nicht-Citiren aufgefasst werden könne. Ich bin jedenfalls dafür, das Schreiben als geheime Instruktion anzusehn und nicht in's Ausland durchsickern zu lassen.
Soeben habe ich Colleg begonnen: fast nur Weiber. Ich war in Göttingen u. Berlin. Viel mit Einstein verkehrt; er glaubt fest an seine allgemeine Relativität und hält sie für das Ziel seines Lebens. Er ist Schweizer geblieben, also militärfrei. Daß aus seinem Institut des Krieges wegen nichts wird, freut ihn - mit Recht. Sein Versuch mit de Haas (mechan. Drehmoment der Magnetisirung als Bewegungsgrösse der Elementarströme) liefert $\frac{e}{m}$ auf 6Prozent genau.
Ich habe im vorigen Semester einen interessanten Ansatz für den Stark-Effekt aus d. Bohr'schen Theorie /2/ der Wasserstofflinien gewonnen. Es fehlt aber noch an der Durchführung, weil mir teils Probleme der Kriegsphysik, teils ein Beitrag zur Elster-Geitel-Festschrift dazwischen gekommen sind.
Auch mit Ihrem Vetter war ich viel zusammen; er weiss viel Interessantes, sogar über Friedensbedingungen.
Röntgen hat sich riesig über alle unsere Veranstaltungen gefreut, über die Stiftung, das Eiserne, das Hindenburg-Telegramm, auch über meine verschiedenen Artikel
Ihr A. Sommerfeld.