Göttingen, den 19. IV. 1909.

Lieber Sommerfeld!

Die Frage, ob Zermelo einigermaßen verständlich vorträgt, ist sehr glatt zu beantworten, da er manchmal sogar ganz ausgezeichnet vorträgt. Er sieht blühend aus, hat sein Colleg durchgehalten und, soviel ich weiß, nicht über seine Gesundheit geklagt. Ich vermute, daß er das kritische Alter für Schwindsuchtskandidaten glücklich überwunden hat. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen, da ich die jüngeren Mathematiker im letzten Semester sehr wenig zu Gesicht bekommen habe. Doch werden Sie auch von seinen näheren Freunden (Hilbert inkl.) ehrliche Auskunft bekommen.-

Ich wollte vor dem Absenden des Briefes noch Positiveres über Zermelo zu erfahren suchen, dies /2/ hat sich aber nicht unauffällig machen lassen.-

Poincaré hat hier über Hertz'sche Wellen vorgetragen, d.h. er behandelte das Problem der [real?] reflektierenden Kugel, indem er genau wie Debye in den Cylinderfunktionen zu asymptotischen Werten überging. Debye hat es offenbar schöner gemacht - woraus Sie mein Urteil über des letzteren Arbeit entnehmen mögen. Was Poincaré mehr gethan, als bisher Debye, ist, wenn ich nicht irre, daß er die Näherung für gegen den Kugelradius kurze Wellen soweit treibt, daß er nicht nur die geometrische Optik, sondern auch die erste Beugungswirkung erhält. Leider hat sich Poincaré - für mich wenigstens - trotz all meiner Verehrung für ihn als persönlich ungenießbar ergeben - im Gegensatz zu der Münchner theoretischen Physik. Inzwischen habe ich nun auch noch Ihre drahtlose Telegraphie durchgesehen. Die Lösung steht ja herrlich wie mit einem Zauberschlag da. Die Diskussion habe /3/ ich nur überflogen, fühle Ihnen aber nach, daß die Halbleitereigenschaft der Erde viel wichtiger ist als die Krümmung ihrer Oberfläche. Werden Sie nicht beides noch zusammen koppeln, um der Wirklichkeit ganz gerecht zu werden?

Gestern war Klein's 60. Geburtstag, inoffiziell und halb geheim, aber doch festlich mit Abendfeier bei Hilberts, der in alter kindlicher Heiterkeit eine höchst verschlungene Polonaise anführte.

Über Debye werde ich später sehr genau referieren.

Mit vielen Grüßen Ihr
K. Schwarzschild.

Lieber Wien!

Hier die Antwort von Schwarzschild. Genügt sie Ihnen, oder soll ich noch an Hilbert schreiben? Ich tue es sofort, wenn sie mir eine diesbez. Karte schreiben. Übrigens besinne ich mich, daß auch Minkowski gelegentlich /4/ die Vorträge Zermelos in der mathematischen Gesellschaft als besonders geistreich, klar und formvollendet rühmte. Sie werden also wohl mit gutem Gewißen behaupten können, daß Z. für Vorgeschrittenere ein sehr geeigneter Lehrer ist.

Der Schluß von Lorentz ist gesetzt und verlangt nur eine Correktur. Dann wird auch Ihr Artikel beliebig beschleunigt werden können.

Den Brief von Schwarzschild brauche ich nicht mehr. Vielleicht intereßirt Sie auch, was er über Poincarés Göttinger Vorlesung schreibt.

Herzliche Grüße von
Ihrem A. Sommerfeld