München,

Leopoldstr. 87

29. XI. 13.

Lieber Wien!

Lenard war so freundlich, mir seine Liste zu schreiben. Gegen Keesom ist nichts zu sagen (ausser dass er sehr ultramontan ist). Laue habe ich inzwischen (neben Debye u. Mie) auch für Frankfurt vorgeschlagen. Wachsmuth hatte sich bei mir nach Debye erkundigt.

Nach § .. der Senatsstatuten ist den Mitgliedern des Senats Stillschweigen auferlegt. Ich will daher über die Verhandlungen, die an Ministerialerlass 66701 (Formblatt etc) anschlossen, nur soviel sagen, dass ich mich über Se. Magnificenz und die senatörlichen Geheimräte geärgert habe, die eine gemeinsame Aktion Würzburg-Erlangen-München vereitelt haben.

Über drahtlose Telegraphie hat Poincaré in Göttingen etwas Falsches vorgetragen, was er in den Rendiconti di Palermo berichtigt hat. Hier hat er die exponentielle Abdämpfung richtig und in Übereinstimmung mit Nicholson. Für den Vergleich mit der Erfahrung kommt es auf das Numerische an, was sehr schwierig ist. Rybschinski findet (nach der Methode von March, die aber bei diesem selbst zu einem falschen Resultat, nämlich nicht zu der exponentiellen Dämpfung geführt hatte) /2/ einen kleineren Zahlenfaktor für die Dämpfung, wie Nicholson (Poincaré hat keine numerischen Angaben). Dieser kleinere Faktor ist mit Beobachtungen von Austin in guter Übereinstimmung. Aber ich verkenne nicht, dass auch der Rybschinski'sche Zahlenfaktor für ganz große Entfernungen schwer mit den Tatsachen vereinbar ist. Möglicher Weise muss man doch die schon oft herangezogene Reflexion an gut leitenden höheren Schichten für die Möglichkeit der Telegraphie auf ganz grosse Entfernungen verantwortlich machen. In Summa: Poincaré hat (nach vorangegangenen Fehlversuchen) das im Princip Richtige erkannt; sein negativer Schluß, dass elektrodynamisch die Telegraphie auf grosse Entfernungen unmöglich sei, ist möglicher Weise nicht aufrechtzuhalten und hängt jedenfalls von numerischen Detailfragen ab.

Kürzlich war J. Stark hier und hat über eine ganz grosse Entdeckung vorgetragen. Elektrischer Zeeman-Effekt ganz grosser Ordnung, Zerlegung von H- und He-Linien in vollständig polarisirte Triplets und Dublets, nachgewiesen an Canalstrahlen, die ein starkes Spannungsgefälle (3000 Volt auf 1mm) durchlaufen, bei transversaler Beobachtung.

Ich habe wieder einen gesegneten Schlaf und eine weniger pessimistische Stimmung.

Ihr
A Sommerfeld