München 15. VI. 16.

Lieber Wien!

Ich bin lange nicht mehr Dekan, hoffe aber, daß Sie die gewünschten Akten durch Hertwig pünktlich erhalten haben.

Daß Sie Lenz für zu jung halten, wundert mich nicht. Er hat nur ein Semester gelesen. Seine Berufung wäre ein zwar aussichtsreicher aber nach aussen hin vielleicht befremdender Wechsel auf die Zukunft.

Von Harms weiss ich durch Sie und Füchtbauer mehr Gutes, als die meisten anderen Collegen; auch habe ich ihn seinerzeit an Fricke für Braunschweig warm empfohlen. Nach den letzten Jahren aber sehe ich seine Produktivität etwas hoffnungslos an, ähnlich wie bei Des Coudres, nicht aus intellektuellen sondern aus psychologischen Hemmungen hervorgegangen. Ich glaube, Sie können meine Äußerung als Symptom für die Meinung nehmen, die auch sonst über ihn verbreitet sein wird.

/2/ Wagner ist übrigens, als Bediener meines Röntgenapparates im Lazarett, durch den Krieg ebenfalls in seiner Zeit beschränkt. Seine gute Entwickelung in den letzten Jahren beruht auf seinem herausgeschnittenen Blinddarm. Vorher war er kränklich.

Der beiliegende Brief von Kam. Onnes wird Sie interessiren und erfreuen. Ich hatte mich an ihn wegen Keesom im Auftrage der Genter Studienkommission gewandt. Da ich in Mittenwald auch Laue u. Mie von meinem Verdacht wegen der Comm. gesagt hatte, wäre es mir lieb, wenn Sie den Brief gelegentlich an einen der Beiden weiterschicken würden, mit dem Auftrage, ihn dem anderen der Beiden zukommen zu lassen.

Meine Arbeit für die Annalen wird lang, es fehlt noch etwa 1/6tel. Epstein schickt Ihnen dieser Tage eine fabelhafte Sache über $\beta$-Strahlen.

Mit besten Grüssen
Ihr A. Sommerfeld