Berghäusl, Obersalzberg bei Berchtesgaden. [August 1918]
Lieber Wien!
Besten Dank für Ihre Sendung, die ich mit viel Interesse durchgesehen habe! Ich schicke Ihnen die ganzen Papiere erst im September nach Würzburg, damit Sie sie nicht von Mittenwald aus mitschleppen müssen. Ich komme voraussichtlich am 8. IX nach München zurück, wo Sie voraussichtlich schon hindurchpassirt sein werden. Wenn wir uns doch noch sehen könnten, wäre es mir sehr lieb.
In der Vorstands-Sitzung der D. Phys. Ges. war wesentlich nur von der Decentralisation der Fortschritte die Rede, für die Haber grössere Geldmittel flüssig machen will. Die Statuten-Beratung sollte bis nach dem Kriege vertagt werden. Dass die Fortschritte weiterhin nicht eine Angelegenheit Berliner Oberlehrer bleiben dürfen, habe ich selbst stark befürwortet. Am nächsten Tage hatte /2/ ich noch eine Besprechung mit Haber und Scheel über die Fortschritte, bei der Haber lebhaft befürwortete, ich sollte zu Pfingsten 1919 einen kleinen Physiker-Congress nach München zur Unter-Dach-Bringung der Statuten berufen, wobei z.B. Siegbahn für den wissenschaftlichen Teil gewonnen werden könnte. Haber und Scheel schien der Münchener Vorsitzende für diese Aufgabe besonders erwünscht. Ich sprach dann noch telephonisch mit Rubens über diesen Plan, der aber während des Krieges nichts davon wissen wollte und an der Meinung der Vorstands-Sitzung festhielt. Es wird also wohl nichts daraus werden, was mir persönlich auch viel angenehmer ist, da bei dem Fehlen aller jungen Leute in München die ganzen Vorbereitungsarbeiten auf mir allein lasten würden. Sie können hieraus aber sehen, dass die Berliner nicht so schlimm sind, /3/ wie Sie annehmen. Ich habe den Eindruck, dass sie den Nicht-Berlinern gern und aus Überzeugung weitgehend entgegenkommen würden. Wir müssten uns einmal zu zweit in Muße über die einzelnen Punkte unterhalten. Ein Schisma scheint mir ganz undenkbar und ganz unangezeigt. Wenn Aussicht ist, dass Sie im Herbst oder Winter nach München kommen, würde ich Ihre Akten lieber sogleich dort behalten, als Unterlage für unsere Besprechung.
In Berlin hatte ich ausserdem in der Tafunk zu tun, sowie auf dem neu angelegten Flugplatz Lärz am Myritz-See in Mecklenburg.
Ich habe mancherlei wissenschaftl. Pläne, bin aber für's Erste mit Kriegsproblemen voll beschäftigt. Wo sich neuerdings der militärische Horizont wieder zu bewölken scheint, ist diese Beschäftigung auch befriedigender wie die rein-wissenschaftliche.
/4/ Sehr aussichtsvoll scheint mir die Betrachtung von Rubinowicz über die Polarisation der Spektren, über die Sie in meiner Planck-Rede einige Andeutungen gelesen haben werden. Ferner beschäftigen mich nach wie vor die Röntgen-Dubletts und die Dubletts der Alkalien. Wann wird man endlich an diese Dinge mit gutem Gewissen gehen können?!
Auf der Rückreise von Berlin habe ich Mies einen Tag besucht. Schubert-Abend. Mie hat ein schönes Resultat über Strahlung, die durch Hinzutreten der Kern-Gravitation aufgehoben wird.
Viele Grüsse, auch an Ihre liebe Frau, und gute Erholung!
Ihr A. Sommerfeld