Kyoto, 13. XII. 28.
Mein lieber Wieland!
Von meiner Frau höre ich, dass Sie den Nobelpreis bekommen haben. Heil und Sieg! Ich gratulire auch Ihrer lieben Frau zu ihrem berühmten Mann. Nach allem, was ich von Ihnen weiss, bin ich überzeugt, dass die Wahl wohlverdient war.
Um aber nicht in den Verdacht unberechtigter Bescheidenheit zu kommen, will ich zugleich bemerken, dass es sich allmählich zum öffentlichen Skandal auswächst, dass ich den Preis immer noch nicht bekommen habe. Ich wurde in Indien mehrmals darauf angesprochen wie das kommt. Saha, der Siegbahn darüber interpellirt hatte, meinte: Bohr /2/ sei daran schuld, aus Rivalität. Ich weiss nicht, welche Kräfte im Spiel sind. Aber ich weiss, dass ich mehrmals in der engeren Wahl gestanden bin. Einmal hat sogar die Stockholmer Presse um mein Bild gebeten. Jedenfalls wäre es das einzig Richtige u. Anständige gewesen, nachdem Bohr den Preis 1922 erhalten hatte, mir ihn 1923 zu geben. Die R.[oyal] Society z.B. hat Bohr u. mich gleichzeitig zu fellows gemacht, wie es sich gehört.
Soviel zur Erleichterung des Herzens und zur Steuer der Wahrheit.
Im Übrigen geht es mir sehr gut. Die Japaner sind reizend, die Inder waren rührend zu mir. Mein Geburtstag, den die Japaner versehentlich auf den 6ten verlegt hatten, wurde im feinsten japanischen Club /3/ (mit untergeschlagenen Beinen, ausgezogenen Schuhen, Stäbchen statt Meßer und Gabel) unter Vorsitz eines Grafen und Gegenwart der Tokyo-Collegen und mehrerer Deutschen, auch des Botschafters Solf, solenne gefeiert. Für den Glückwunsch der Fakultät werde ich mich noch besonders bedanken.
Ich hielt es nicht für richtig u. diplomatisch, Gerlach an die 2te Stelle der Liste zu setzen. Aber ich wollte keine Schwierigkeiten machen u. habe daher meine abweichende Meinung nur als Amendement gestellt. Franck will nicht lesen und prüfen und Debye ist im Grunde Theoretiker u. erst in zweiter Linie Experimentator. Wenn er gewählt wird, wird man sagen, ich hätte meinen Duzfreund u. früheren Schüler unberechtigt bevorzugt. Aber das kann mir /4/ gleich sein. Natürlich wären mir beide als Collegen willkommen, wie ich das ja alles schon von Bangalore aus geschrieben habe. Ich werde wohl erst in Pasadena hören, wie Ihre Vorschläge und die Verhandlungen des Ministeriums gelaufen sind. Wenn wir dennoch Stark bekommen sollten, so weiss ich wirklich nicht, was ich tun soll. In Princeton erwartet mich, wie ich höre, ein sehr dicker Ruf. Ob ich ihn im gedachten Falle annehmen werde?
Herzliche Grüsse und neidlose Glückwünsche von Ihrem getreuen
A. Sommerfeld
Musikalischer Abend in Tokyo: Bach, Beethoven, Schubert. Japanische Musik für mich einstweilen ungeniessbar.
Ihren Schlangen-Freund in Lucknow habe ich nicht gesehen.