W.[ürzburg] 14/5/05
Lieber Kollege!
Ihre Bemerkung, daß die Energie der Röntgenstrahlen nach verschiedenen Richtungen verschieden sein müßte ist mir auch schon aufgefallen und ich habe in einem kleinen, im Jahrbuch der Elektronik erschienenen Aufsatz bereits darauf hingewiesen. Ich glaube aber nicht, daß wir deshalb die Theorie der Röntgenstrahlen anzuzweifeln brauchen. Ich stelle mir nämlich die Sache folgendermaßen vor: Alle auffallenden Kathodenstrahlen werden schon bei ganz geringem Eindringen in feste Körper diffus gestreut ohne merklich an Geschwindigkeit einzubüßen, wie es aus dem Hindurchgehen durch Lenardsche Fenster oder bei der Reflexion der Kathodenstrahlen folgt. /2/ Die eigentliche Bremsung eines absorbirten Theilchens kann deshalb doch ganz einfach auf geradliniger Bahn erfolgen, deren Richtung indessen von der ursprünglichen mehr oder weniger abweicht. Die Richtungsänderung würde streng genommen natürlich auch Strahlung bedingen, da aber der Geschwindigkeitsverlust sehr gering ist, so kann hierbei keine nennenswerthe Energie abgestrahlt werden. Jedenfalls kann man wohl annehmen, daß von den reflektirten oder durch ein dünnes Blatt hindurchgegangenen Kathodenstrahlen keine Röntgenstrahlen ausgesandt werden, obwohl diese auch bereits in verschiedenster Weise ihre Richtung geändert haben: Die gleichförmige geradlinige Verzögerung ist natürlich eine Annahme die /3/ mit der Wirklichkeit nicht genau stimmen kann aber für die erste Orientirung genügt.
Seitz wird jetzt auch auf meinen Vorschlag seine Theorie der Beugung an einem Cylinder auf die Optik anwenden, wobei wie ich hoffe, der bisher noch gar nicht theoretisch geklärte Einfluß des Materials herauskommen muß.
Wenn man ebene elliptische Coordinaten anstatt der Cylindercoordinaten einführt, so gelangt man zu dem Problem der Beugung an einem unendlich langen Streifen oder Spalt. Ich habe bereits gesehen, daß man die Funktion $e^{ibx}$, welche die ebene Welle darstellt, in eine nach den Laméschen Funktionen des elliptischen Cylinders fortschreitende Reihe entwickeln kann, sodaß man der Diffgl. genügen und auch die Grenzbedingungen zu erfüllen vermag. Da ich selbst keine Zeit /4/ zur Ausrechnung habe, so habe ich sie einem sehr tüchtigen Lehrer an der hiesigen Realschule, Sieger, übertragen. Schwierigkeiten macht nur die richtige Berechnung der Funktionen des elliptischen Cylinders, da die Andeutungen in Heine äußerst knapp sind. Kennen Sie vielleicht eine neuere Literatur auf diesem Gebiet? Ich habe auch den Ansatz für die Theorie der Beugung an einem unendlichen breiten Gitter gemacht. Zu dem Ende muß man neue Coordinaten durch die Gleichung \begin{equation*} x + iy = \frac{a}{k} \log (dn \varepsilon (\xi + \eta i) km (\xi + \eta i) \varepsilon) \end{equation*} einführen, wenn dn, m die elliptischen Funktionen sind. Man erhält dann die Gleichung anstatt $\frac{\partial^2 \varphi}{\partial x^2} + \frac{\partial^2 \varphi}{\partial \mathfrak{z}^2} + s^2 \varphi = 0$ \begin{equation*} \frac{\partial^2 \varphi}{\partial \xi^2} + \frac{\partial^2 \varphi}{\partial \mathfrak{z}^2} + s^2 \varepsilon^2 a \varphi \frac{[???]}{\left(1 - k^2 [??] \right)^2} = 0 \end{equation*} Die Breite der Gitterconstante ist $\frac{\pi a}{k}$, die Breite der Gitterstäbe $\frac{a}{k} \textrm{antg} \sqrt{k}$.