Würzburg, den 18/5 [1908]
Lieber Sommerfeld!
Ich muß Ihnen nun schleunigst schreiben um Sie zu versichern, daß nicht im entferntesten davon die Rede sein kann, daß ich durch Ihren Brief gekränkt war. Ich bin Ihnen im Gegentheil für Ihre Mühe immer dankbar gewesen. Ich wollte Ihnen nur unnütze Mühe ersparen indem ich noch erst die erste Korrektur nach dem Umbruch genau lesen wollte. Da Sie annahmen daß ich die Sache schon für druckreif hielt hatten Sie mit Ihren Bedenken ganz Recht. Schließlich wollte ich auch meine Art der Darstellung entschuldigen die gewiß mancherlei zu wünschen übrig läßt /2/ aber doch den Vortheil hat, daß man den Artikel wirklich benützen kann wenn er auch zur bloßen Lektüre weniger geeignet ist. Ich möchte Sie bitten auch weiter Ihre Äußerungen wie bisher ganz offen zu machen. Hoffentlich werden nun allmählich die Unebenheiten in dem Artikel entschwinden.
Der Vortrag, den Lorentz in Rom gehalten hat, hat mich schwer enttäuscht. Daß er weiter nichts vorbrachte, als die alte Theorie von Jeans ohne irgend einen neuen Gesichtspunkt hineinzubringen finde ich etwas dürftig. Außerdem liegt die Frage ob man die Jeanssche Theorie für diskutabel halten soll auf experimentellem Gebiet. Seine Meinung ist hier nicht diskutabel weil die Beobachtungen enorme Abweichungen von der Jeansschen Formel geben in einem Gebiet, wo man leicht controlliren kann /3/ wie weit die Strahlungsquelle von einem schwarzen Körper abweicht. Was hat es nun für einen Zweck, diese fragen [sic] den Mathematikern vorzutragen, von denen doch keiner gerade diesen Punkt beurtheilen kann?
Ferner kommt es mir etwas komisch vor den Vorzug der Jeansschen Formel, trotzdem sie mit Nichts stimmt, darin zu suchen, daß man die ganze unbegrenzte Mannigfaltigkeit der Elektronenschwingungen beibehalten kann. Und die Spektrallinien? Lorentz hat sich diesmal nicht als Führer der Wissenschaft erwiesen.
Sobald ich mit der Korrektur fertig bin, schicke ich sie Ihnen zu.
Mit besten Grüßen
Ihr W. Wien