Leiden, den 11 März 1901.
Hochgeehrter Herr College,
Daß ich erst jetzt dazu komme, Ihr Schreiben vom Ende des vorigen Jahres zu beantworten, hat wirklich seinen Grund nicht darin, daß ich auf daßelbe keinen hohen Werth legte. Im Gegentheil, ich bin Ihnen von ganzem Herzen dankbar für Ihre freundliche Gesinnung, für Ihre herzlichen Glückwünsche und für die gute - wohl all zu gute - Meinung, die Sie von mir /2/ haben.
Besten Dank auch für Ihre Bereitwilligkeit, an der mir überreichten Festschrift mitzuwirken. Es hätte mich in hohem Maaße gefreut, wenn Sie einen Beitrag hätten liefern können; jetzt, da Ihnen das wegen Ihrer großen Arbeitslast unmöglich war, trage ich in Gedanken in das Inhaltsverzeichniß eine recht schöne und gelungene Arbeit von Sommerfeld ein, die an anderer Stelle publicirt werden wird.
Uebrigens brauche ich Ihnen wohl kaum zu sagen, wie es mich gerührt hat, daß so viele ausgezeichnete Fachgenoßen mir in dieser Weise den Tag meines Doctorjubiläum zu einem unvergeßlichen Festtage gemacht haben, und sich um meinet Willen /3/ so viele Mühe haben geben wollen. Sehr viel Glück haben mir die verfloßenen 25 Jahre gebracht, und dankbar erinnere ich mich der vielseitigen Anregung, die ich gefunden habe, und der freundschaftlichen Beziehungen zu so vielen älteren und jüngeren Männern, auf deren Urtheil ich hohen Werth lege.
Ein großes Fest haben wir nicht gefeiert; es war unseren Freunden wohl bekannt, daß wir lieber einige herzliche Worte hören möchten als eine stattliche Festrede. Zumal jetzt, da kurz vorher mein Schwiegervater verstorben war, in dem wir, obgleich er ein sehr hohes Alter erreicht hat, doch viel verloren haben. Er wohnte hier in Leiden und seiner Krankheit wegen habe ich in den /4/ letzten Monaten des Jahres wenig arbeiten können. So habe ich auch leider mein Versprechen nicht gehalten, Ihnen schon damals mitzutheilen, wie ich meine beiden Artikel in der Encyclopädie einzurichten gedenke. Entschuldigen Sie, bitte, die Verzögerung.
Ich erlaube mir jetzt, Ihnen anbei eine vorläufige Disposition des von mir zu behandelnden Stoffes zukommen zu laßen, "vorläufig", da natürlich die Möglichkeit besteht, daß ich, wenn ich mich an die Ausführung mache, hier oder dort etwas von dem Schema abweichen muß.
Da der Raum uns ziemlich knapp zugemeßen ist, so habe ich gemeint auf eine geschichtliche Anordnung verzichten zu müßen; wenn ich mit der /5/ Thür ins Haus falle, und von den Gleichungen des electromagnetischen Feldes ausgehe, komme ich natürlich viel weiter als wenn ich die Gleichungen allmählich entstehen laßen sollte. Es scheint mir auch dem Zwecke der Encyclopädie zu entsprechen, wenn ich in dieser Weise das Mathematische in den Vordergrund rücke.
Sie werden mir jetzt viel Vergnügen machen, wenn Sie mir mittheilen wollen, ob Ihrer Meinung nach die nach diesem Plane abgefaßten Artikel zu dem sonstigen Inhalte der Encyclopädie paßen werden, und ob ich, was die Abgrenzung gegen andere Artikel betrifft, das richtige Maaß getroffen habe. Natürlich bin ich gern zu Aenderungen bereit.
Ich möchte noch bemerken, daß ich /6/ Wien - dem ich ebenfalls diese Disposition schicke - versprochen habe, zu seinem Artikel einen Abschnitt über das Zeeman'sche Phänomen und über die Lichtbewegung in bewegten Medien zu liefern. Ich werde mich noch mit ihm darüber berathen, wer von uns Beiden die Beziehungen zwischen Brechungsverhältniß und Dichte (und chemische Zusammensetzung der Körper) übernehmen soll. Das Hall'sche Phänomen gehört wohl zu 18 (Dießelhorst), die Deformation im electrischen Felde (und auch die Piezo-Electricität) zu 16 (Pockels). Im Allgemeinen werde ich natürlich specielle Probleme den anderen Mitarbeitern überlaßen müßen.
Ihnen wäre ich nun noch sehr /7/ verbunden, wenn Sie mir mittheilen wollten, ob Sie vielleicht schon, was die mathematische Bezeichnungsweise betrifft, eine Verabredung getroffen haben. Speciell wüßte ich gerne ob bereits im mathematischen Theil des Werkes eine Schreibweise für die Begriffe der Vectorentheorie festgesetzt worden ist.
Ich hoffe, es gehe Ihrer Frau Gemahlin und dem kleinen künftigen "Naturforscher" recht gut. Mit herzlichen Grüßen für Sie beide, auch von meiner Frau, verbleibe ich
Ihr freundschaftlich ergebener
H.A. Lorentz
/8/ H.A. Lorentz. Disposition
13. Standpunkt der Feldwirkung: Maxwell's Theorie und Verwandtes.
1. Die Maxwell'schen Gleichungen in der Hertz'schen Form für leitende Körper.
2. Andere Formen der Gleichungen.
3. Physikalische Bedeutung. Energie. Poynting'scher Satz.
4. Ableitung der Gleichungen aus allgemeinen mechanischen Prinzipien.
5. Vorstellungen über den Mechanismus. Theorien von Maxwell, Larmor, Boltzmann, Voigt, Sommerfeld u.A.
6. Aethertheorien n. Hydrodynamischen Analogien.
7. Bildliche Darstellungen. Kraftlinien.
8. Aeltere Anschauungen.
9. Allgemeine mathematische Sätze. Bestimmtheit der Probleme. Reciprocitäts/9/gesetze. Allgemeines über Fortpflanzung.
10. Die Hertz'schen Gleichungen für bewegte Körper.
11. Theorie von Helmholtz.
12. Ponderomotorische Wirkungen. Ableitung aus allgemeinen Principien.
13. Spannungen im electrischen und magnetischen Felde.
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14. Weiterbildung der Maxwell'schen Theorie. Electronentheorie.
1. Bewegungsgleichungen für [?] in den Aether eingelagerte Electronen. Ableitung derselben aus //allg// mechanischen Principien.
//2. Ponderomotorische Wirkungen.//
//3. Induction.//
2. Anwendung auf electrische Erscheinungen.
3. Theorie von Wiechert.
/10/ 4. Theorie von Larmor.
5. Einfluß der Erdbewegung auf electrische Erscheinungen.
6. Neuere Faßung der Theorie.
7. Probleme über die Bewegung der Electronen. Kathodenstrahlen. [?] und electromagnetische Maße.
8. Entstehen der Röntgenstrahlen.
9. Untersuchungen von J.J. Thomson u.A. über die Ionisierung der Gase.
10. Gravitation. Electromagnetische Begründung der Mechanik.
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