Leiden, 6 Januar 1909.

Lieber Herr Kollege,

Endlich habe ich Ihnen den versprochenen Artikel schicken können, leider, was ich bedaure, noch einige Tage zu spät und auch noch nicht das Ganze. Es fehlt nämlich noch etwa ein Drittel, die Behandlung der magnetischen Drehung der Polarisationsebene und des Kerr-Effektes (Spiegelung an magnetisiertem Eisen). Indes kann ich Ihnen diesen Teil in den nächsten Wochen zukommen laßen und wenn Sie das, was jetzt fertig ist, gelesen haben und keine größeren Änderungen vorzuschlagen wünschen, so kann mit dem Druck einstweilen angefangen werden.

/2/ Wie Sie sehen, habe ich mich auf die magneto-optischen Erscheinungen beschränkt, und die übrigen Themata, von denen ich neulich schrieb bloß in der Einleitung erwähnt; vielleicht wünschen Sie doch zu allen anzugeben, an welchen Stellen diese ihren Platz finden werden. Obgleich Pockels das meiste, das sich auf Kristalle bezieht, in seinen Artikel aufnehmen wird, so schien es mir doch, daß die durch J. Becquerel's Versuche veranlaßten theoretischen Betrachtungen nicht von mir übergangen werden konnten.

Trotz der Einschränkung fürchte ich doch, zu ausführlich gewesen zu sein, und wenn Sie es für nötig halten kann ich etwas kürzen. Viel aber nicht, wie mir scheint. Jetzt giebt mein Artikel eingermaßen eine Übersicht, und kann vielleicht als Einleitung zu weiteren Studien seinen /3/ Nutzen haben; auch wird er, wie ich hoffe, das //Buch// das Verständis von Voigt's Buch erleichtern und hat dabei den Vorteil, daß die die Darstellung allgemeiner gehalten habe, wobei sich auch einige neue Fragen erheben. Daß, im Vergleich mit meinen früheren Artikeln, die Darstellung etwas breiter ist, kann damit entschuldigt werden, daß eine Behandlung dieser magneto-optischen Erscheinungen kaum Bedeutung hat, wenn man nicht ziemlich ins Einzelne geht.

Indes ist es in gewißem Sinne wohl gut, daß Sie zunächst nur diesen Teil erhalten; Sie können mir nur sagen, ob ich vielleicht in dem folgenden Teil eine mehr gedrängte Darstellung geben muß. Ich habe jetzt für diesen Teil die folgende Disposition //entworfen// gewählt:

1. Theorie der magnetischen Drehung im Anschluß an Voigt's Theorie.

2. Übersicht über ältere Theorien des Faraday-Effektes.

/4/ 3. Allgemeine Gestalt der Gleichungen für die Fortpflanzung des Lichtes in einem Magnetfelde.

4. Reciprozitätssätze, die sich daraus ergeben.

5. Kerr-Effekt.

Zu Punkt 2 möchte ich mir noch die Frage erlauben, wie ich mit Maxwell's Theorie der Wirbel (in seinem Treatise) verfahren soll. Wie er diese entwickelt hat, können wir ihr eine große Bedeutung wie mir scheint nicht beilegen. Ich könnte aber versuchen, gleichsam den Kern herauszuschälen, und zu untersuchen inwiefern seine Behandlungen mit den gegenwärtigen Anschauungen sich vertragen, so daß das Verhältnis zwischen diesen Maxwell'schen Theorien und anderen Auffassungen klar wird. Indes erfordert das eine ziemliche Arbeit, die vielleicht kaum lohnt, und dürfte es vielleicht besser sein, bloß zu sagen, daß M. mittels gewisser Betrachtungen über Wirbel zu /5/ seinem Resultat kommt.

Eine andere Frage ist die, ob ich auch über diejenigen Untersuchungen, die sich auf den zweiten Hauptsatz (und das Strahlungsgleichgewicht) bei magneto-optischen Erscheinungen beziehen, eingehen soll. Das ist wohl sehr interessant, geht aber vielleicht zu weit, und könnte auch dem Artikel über Strahlungstheorie überlaßen bleiben.

Endlich eine rein äußerliche Frage. Da e electrische Ladung bedeutet, so habe ich für die Grundzahl der natürlichen Logarithmen $\varepsilon$ geschrieben. Vielleicht finden Sie das zu unschön; dann kann wohl auch ein e bleiben, da Misverständniße kaum zu fürchten sind.

Ich benutze diese Gelegenheit die herzliche Wünsche zum neuen Jahr /6/ für Sie und die Ihrigen auszusprechen. Wir hoffen sehr, dass es Ihnen beiden sowie den Kindern und namentlich meinem kleinen (jetzt schon etwas größeren) Namensvetter ganz gut gehe.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus

Ihr treu ergebener
H.A. Lorentz

[ /7/ Auf der Rückseite Notizen von AS. ]