München,

Schellingstr. 21.

15. VI. 1901.

Hochgeehrter Herr Professor!

Vor kurzem erfreuten Sie mich durch die freundliche Übersendung Ihrer Abhandlung über die Beugung der Röntgenstrahlen und fast zu gleicher Zeit erhielt ich Ihren vom September vorigen Jahres datierten Brief, der mir damals nach Italien nachgeschickt worden war, in Florenz auf dem Postamt liegen blieb und nach unglaublichen Wanderungen jetzt endlich in meine Hände gelangt ist. Wie ich Sie damals in Rücksicht auf das Getriebe der Naturforscherversammlung in Gedanken entschuldigte, so hoffe ich - werden Sie mir nun umgekehrt für das lange Ausbleiben meines Dankes und meiner Antwort Indemnität gewähren.

Ihre Abhandlung selbst habe ich mit größtem Interesse gelesen. Ganz abgesehen von der physikalischen Anwendung habe ich immer gewünscht, die Ausbrei/2/tung von Impulsen klargelegt zu sehen. Denn für mein Gefühl bleibt dies immer anschaulicher, als das Verfolgen der im Grunde stets komplizierten Wellenbewegungen.

Inzwischen habe ich wiederum Veranlassung gehabt, mich mit einem Beugungsproblem zu beschäftigen, nämlich mit der Beugung an einer vollkommen reflektierenden Kugel. Dasselbe ließ sich lösen durch Entwicklungen nach Kugel- und Zylinderfunktionen, deren Koeffizienten sich explizit bestimmen ließen. Es scheint mir fast, als ob hier mehr Aussicht wäre, als beim Spalt, nach Ihrer Methode zu einer geschlossenen Formel zu gelangen? Meine Absicht war, den Maxwell'schen Druck des Lichts auf eine Kugel zu berechnen. Das leisteten auch (allerdings durch Rechnungen, wie sie nur hartgesottene Astronomen ausführen) diese Reihenentwicklungen. Ich fand, daß Arrhenius Recht hat mit seiner Behauptung, der Druck des Lichts reiche aus zur Erklärung der abstoßenden Kräfte, welche die Sonne sichtlich auf die Materie der Kometenschweife ausübt.

Ich hoffe mich bald mit Kugel und Spalt für /3/ Ihre "Impulse" verschiedener Art revanchieren zu können und verbleibe einstweilen mit nochmaligem besten Dank

Ihr aufrichtig ergebener
K. Schwarzschild.