Göttingen d. 7. 10. 00.
Lieber Herr Professor!
Besten Dank für Ihre Anregungen. So interessant die Ideen über die mechanische Interpretation der electrischen Kraft auch sind, so glaube ich doch, daß sie eher in Ihren und Larmors Artikel, als in den meinigen gehören, der doch ausschließlich die geometrische Natur der physikalischen Größen zum Gegenstande hat. Wohl aber werden Sie, bei der Kritik der mechanischen Theorien, auf die Resultate meines Artikels Rücksicht nehmen müssen, wonach die magnetische Kraft eine Plangrösse (axialer Vector), und die electrische ein richtiger Vector ist.
Übrigens scheint noch nicht bemerkt zu sein, daß man diese Thatsache auch beweisen kann, ohne Halleffect und Pyroelectricität zur Hilfe zu nehmen. Aus den Maxwell'schen Gleichungen für Isolatoren folgt, daß entweder die electrische, oder die magnetische Induction /2/ ein Vector ist, und ferner, daß die Divergenzen der Inductionen constant sind. Nehmen wir an, die magnetische Induction sei ein Vector, die electrische die Plangrösse, so wäre die Divergenz der electrischen Ind. überhaupt keine physikalische Größe. Sie bliebe invariant bei Drehungen des Coordinatensystems, bei Inversion aber würde sie das Vorzeichen wechseln, sie wäre also kein richtiger Scalar. Daß aber eine derartige Größe, wie die wahre Electricität, deren Constanz ein allgemeines Naturgesetz ist, sich so verhalte, scheint undenkbar. Nehmen wir aber die magnetische Induction als Plangrösse, so ist die Divergenz der el. Ind. ein Scalar, die der magnetischen aber ist überhaupt null, man kommt also zu keinem Widerspruch.
Ich habe mich übrigens entschlossen, meinen Artikel umzuarbeiten. Besonders /3/ die eigentliche Vectoranalysis soll systematischer dargestellt werden, es soll z.B. der curl von vorne herein als Flächengrösse eingeführt werden, und das Symbolische meistens in die Anmerkungen versetzt werden. Über den stress sind wir uns jetzt wohl einig. Ich bringe die Definitionen vom phänomenol. Standpunkte und die Transformationseigenschaften, Sie die molecularen Betrachtungen, z.B. das, was Voigt in Comp.[endium] I § 16 macht.
Was ich mit den letzten Betrachtungen meines Artikels, über Diffgl. der math. Physik, mache, weiß ich noch nicht. Lamb wollte sie überhaupt gestrichen wissen; das geometrisch wichtige, die Maxwell'schen Gl. und die Circularpolarisation, muß aber entschieden bleiben, das kann ich aber unter "Beziehungen zwischen Vectoren und Plangrössen" einordnen. Das übrige lasse ich vielleicht am besten fort, und schliesse mit /4/ allgemeinen Bemerkungen über math. Analogien und Familienähnlichkeiten. Das Verschwinden der Divergenz bei transversalen, des curl bei long.[itudinalen] Wellen kann unter "potentielle" bezw. "selenoidale Vectorfelder" Platz finden.- Zu meinem electrodynamischen Artikel werde ich wohl fürs erste nicht Zeit finden, aber der ist wohl auch nicht eilig.
Neulich war Dr. Heun hier, und haben wir uns bei Klein nochmals über die Principien der Mechanik unterhalten, was für mich um so interessanter war, als ich im nächsten Semester analytische Mechanik lesen will. Leider mußte Klein infolge einer starken Erkältung sich ins Bett legen, sodaß die Sache nicht fortgesetzt werden konnte.
Mit bestem Gruß Ihr ergebenster
M. Abraham.