Göttingen d. 23. 2. 01.

Lieber Herr Professor!

Anbei sende ich Ihre Notizen zu meiner Arbeit über den "frei endigenden Draht" zurück. Was die Strahlungserscheinungen bei der Funkentelegraphie anbelangt, so ist durch die neuesten Versuche von Slaby festgestellt, daß es sich hier um die Eigenschwingungen des ganzen Drahtes, nicht um die erzwungenen Schwingungen des freien Endes handelt, daß also nicht meine letzte Arbeit, sondern die ältere hier Anwendung findet. Sie werden im nächsten Heft der Physik. ZS. einen Aufsatz finden, in dem ich meine Auffassung von der Sache darlege, und auch eine neue Ableitung gebe, die, wie ich hoffe, für bessere Techniker und mittlere Physiker verständlich sein wird.

Nächstens will ich nun mit den Studien für meinen electrodynamischen Artikel beginnen. Wenn die Lorentz'sche Bezeich[n]ung für Bd V allgemein maaßgebend sein soll, so würde es sich empfehlen, wenn jener Artikel vorher cursieren würde, /2/ wenigstens bei den Referenten, welche die folgenden Kapitel zu bearbeiten haben. Mir wäre die Kenntnis des Lorentz'schen Artikels besonders erwünscht. Ich habe in meiner früheren Disposition u.A. auch allgemeine Integrale der Maxwell'schen Gl. aufgenommen. Ich vermute aber, daß z.B. der Poynting'sche Satz schon bei Lorentz stehen wird, ebenso der Satz von Poincaré-Lorentz-Levi-Cività, der ja in den Electronentheorien von Wiechert und Descoudres jetzt zu Grunde gelegt wird. Auch Birkelands Lösung für leitende Körper würde vielleicht dorthin gehören.

Was sich auf bewegte Electronen bezieht, muß ich jedenfalls H.A. Lorentz überlassen, ich beschränke mich auf ruhende, isotrope, normal dispergierende Körper. (Anisotrope kommen zur Krystalloptik)

Was die Abgrenzung gegen Induktion anbelangt, so ist diese mir noch nicht recht klar. Tauber wird wohl nicht umhin können, die älteren Arbeiten über Drahtwellen u. Kabel, z.B. von /3/ Kirchhoff und W. Thomson, zu besprechen, ebenso die Frage der Stromverteilung bei Wechselstrom. Was speciell für Hertz'sche Schwingungen gerechnet worden ist, gehört ja sicher zu mir. Aber eine scharfe Grenze ist schwer zu ziehen. Vielleicht kann man das gelegentlich mündlich besprechen (? in Hamburg)

Dagegen scheint mir für die Abgrenzung gegen Strehl folgendes das beste zu sein. Kirchhoffs analytische Formulierung des Huyghens'schen Princips, die speciell zur Rechtfertigung der Methoden der alten Beugungstheorie gemacht worden ist, kommt zu Strehl; ebenso die Erörterung der hierbei auftretenden Schwierigkeiten. Ich kann mich dann damit begnügen, auf diese Bedenken hinzuweisen, und hervorzuheben, daß für die Beugung electrischer Wellen bezw. Röntgenstrahlen, wo man kein so reiches experimentelles Material zur Verfügung hat, eine exacte Theorie erwünscht ist, deren /4/ Besprechung in meinem Artikel erfolgt. So hoffe ich dann, etwas lesbares zu Stande zu bringen. Denn bei dieser Abgrenzung kann man eine bestimmte historische Entwickelung darstellen, deren Mittelpunct H. Hertz's Versuche sind[,] und das erleichtert die Sache ungemein.

Wie schwer es ist, ein Referat zu schreiben, in dem vereinigt sein soll, was zu den verschiedensten Zeiten von den verschiedensten Schulen gemacht worden ist, habe ich bei dem Vectorartikel gesehen, der jetzt endlich fertig geworden ist. Alle, die denselben bisher gelesen haben, sind erbost auf mich, die Mathematiker, weil zuviel moderne physikalische Litteratur in den Vordergrund gestellt ist, die Physiker (z.B. Voigt), weil ein ihnen nicht geläufiger mathematischer Jargon zuweilen gebraucht wird.

Mit bestem Gruße verbleibe ich Ihr sehr ergebener

Dr. M. Abraham.