14. 10. 04.
Lieber Herr College!
Für die Zusendung der Correcturen Ihrer höchst interessanten Arbeit danke ich Ihnen bestens; jetzt erst ist mir auch die erste Mitteilung über das Feld verständlich geworden; die Zerlegung der Dichteverteilung in harmonisch veränderliche wird in der That für Ihre Methode wesentlich. In Ihren Formeln steckt in der That Alles darin, obwohl es im einzelnen Fall große Mühe macht, das Resultat herauszuschälen. Für die einfachen Fälle, die ich seinerzeit behandelt habe, führt doch die von mir angewandte Methode einfacher zum Ziele. Es ist aber ohne Zweifel nützlich und notwendig, die verschiedensten Wege zu verfolgen, und zu sehen, wie weit sie führen. Ich habe daher auch P. Hertz geraten, zu versuchen, ob er mit seiner Methode noch weiter kommt. Er wird, wenn dieses der Fall ist, nicht unterlassen, Ihnen Mitteilung zu machen.
Am meisten haben mich die Ergebnisse betreffend Überlichtgeschwindigkeit interessiert. Ich habe auf elementarem Wege für den Grenzfall $\beta = \infty$ die Kraft berechnet, mit der ein gleichförmig electrisch geladenes Parallelepiped (Kanten a, b, c), parallel der /2/ Kante a gleichförmig sich bewegend, sich selber hemmt. Ich erhalte für diese Kraft: $\frac{2 \pi e^2}{b c}$. Hiernach bleibt die Kraft endlich, wenn ich die Kante a gleich Null setze, d.h. für eine Scheibe, die senkrecht zu ihrer Ebene bewegt wird. Die Kraft wird hingegen unendlich, wenn eine der zur Bewegungsrichtung senkrechten Kanten b, c gleich null wird. Es ist also nicht die Eigenschaft einer jeden flächenhaften Electricitätsverteilung für Überlichtgeschw. eine unendliche Kraft auf sich selbst auszuüben, sondern es hängt das von der Orientierung gegen die Bewegungsrichtung (bezw. im allgemeinen Falle $1 < \beta < \infty$ gegen den charakteristischen Kegel) ab. Für die Kugelfläche, wo die Orientierung eine wechselnde ist, ist das logarithmische Unendlichwerden plausibel.
Hingegen ist mir nicht klar, wieso Sie Ihre Ergebnisse zu Gunsten der Volumladung deuten zu sollen glauben. Da bei Überlichtgeschwindigkeit die Ablenkbarkeit so beträchtlich wird (bei Volumladung), so könnte man auf dieser Basis die Paschen'schen Versuche kaum deuten; auch die kräftefreie Bewegung würde in dieser Hinsicht wohl kaum /3/ etwas anderes ergeben. Soweit bisher die Versuche über $\gamma$-Strahlen überhaupt etwas bestimmtes auszusagen erlauben, halte ich es für wahrscheinlich, daß man es hier mit Flächenladung zu thun hat, und mit Geschwindigkeiten, die nahezu, wenn auch nicht ganz, der Lichtgeschwindigkeit gleich sind. Es ist klar, daß hier die Electronen mit den bei ihrem Fortschleudern entsandten Wellen nahezu gleichzeitig eintreffen, und daß die Frage, ob die $\gamma$-Strahlen aus Wellenstrahlung oder Convectionsstrahlung bestehen, kaum richtig gestellt ist. Sie sind ein Gemenge von beidem, oder, besser gesagt, ein einziges electromagnetisches Feld von gegebener Energie und Bewegungsgrösse. Bei der Berechnung der Energie und der Bewegungsgröße hat man selbstverständlich die Wellen in Betracht zu ziehen; es wird aber schwer sein, ohne Angabe der Anfangsbedingungen hierüber etwas auszusagen.
Die Spectrallinien werden auf Grund der reinen Electronenmechanik wohl kaum zu deuten sein. Man wird hier wohl eine neue Grundhypothese über die Einwirkung der Materie (bezw. der positiven /4/ Electricität) auf die Electronen hinzunehmen müssen. Und es kommt darauf an, diese in glücklicher Weise zu fassen. Ich hoffe aber kaum, daß die nächsten Jahre in dieser Richtung einen wesentlichen Fortschritt bringen werden.
Aber es ist besser, sich auf das prophezeien nicht so sehr einzulassen. Darum schliesse ich lieber.
Ich möchte nur noch bitten, das Exemplar von Föppl-Abraham, das Ihnen demnächst durch Teubner zugesandt werden wird, freundlichst von mir annehmen, und mit der notwendigen Nachsicht beurteilen zu wollen.
Mit bestem Gruße Ihr ergebenster
M. Abraham.