Göttingen, den 11. 2. 17.

Grüner Weg 1.

Lieber und verehrter Herr Kollege!

Mit aufrichtiger Freude habe ich von der Ihnen gewordenen Ehrung gelesen und kann nicht umhin, Ihnen zu derselben meinen herzlichen Glückwunsch zu senden. Ich verfolge Ihre schönen Untersuchungen mit dem größten Interesse, und, - so sehr sich in mancher Hinsicht mein physikalisches Empfinden gegen die moderne Phänomenologie wehrt, die sich begnügt, einen einzelnen Teil einer Naturerscheinung (Schwingungszahlen) zu deuten, und größere Teile derselben (z.B. [Schwingungs]formen) leichtherzig gänzlich außer Betracht zu lassen, - mit aufrichtiger Bewunderung. Mehr noch: in dieser furchtbaren Zeit, wo so viele Physiker teils innerlich, teils äußerlich in ihrer Tätigkeit gelähmt sind, retten Ihre Arbeiten zu einem beträchtlichen Teile die wissenschaftliche Ehre Deutschlands im Gebiete der Physik. Das empfinde ich tief und möchte ich Ihnen dankend aussprechen.-

Mancherlei Fragen wecken mir Ihre neuen Resultate. Verstehe ich recht, so lassen dieselben eine Koppelung der Zeeman-Effekte bei den Konstituenten der H-Dupletts nicht zu. Aber eine solche Koppelung ist meiner Ansicht nach einwandfrei festgestellt (z.B. hier in G.[öttingen] durch Erochin 1913). Da liegt ein Problem[.]

Ferner folgere ich aus den Erfolgen des Bohrschen Modelles, /2/ daß das Elektron kaum die Einfachheit haben könne, die wir ihm nach Lorentz-Einstein beilegen. Es muß doch in ihm irgend etwas sein, was, durch äußere Einwirkung veränderlich, das Elektron in die oder jene definierte Bahn hineinzwingt, wenn es aus einer andern herausgeworfen ist. Vielleicht ist aber dieses "Etwas" - sagen wir eine innere Rotation - auch die Ursache, daß es in jenen speziellen Bahnen nicht ausstrahlt, wohl aber bei dem Übergang von der einen zur andern. Und dann muß dieses "Etwas" mit den "Elementarquanten" in engster Beziehung stehen. Ob wohl Ihre Gedanken in einer ähnlichen Richtung gehen? -

Hier sind ja Hilbert und Debye durch geringe innere Anteilnahme an den Weltereignissen zum Glück in voller Schaffensfrische erhalten, und ich nehme freudig Teil an dem, was sie schaffen. Ich meinesteils bin - ganz abgesehen von der geringeren Begabung und dem näher den 70 als den 60 Jahren liegenden Alter - von der Qual der letzten 2 1/2 Jahre mit ihren verzehrenden Sorgen zermürbt und arbeite mühsam, mit gewaltsamer Konzentration der Gedanken, die trotz allem leicht [verflattern?]. Betrübt fühle ich mich immer rückständiger werden und der Nachsicht immer bedürftiger. Doppelt freue ich mich aber Ihres [tüchtigen?] Vordringens.

Treulich
Ihr W. Voigt.