Gttg.[Göttingen] 12/4 96

Lieber Sommerfeld!

Daß ich nicht rechtzeitig nach Berlin gekommen bin, war die force majeur eines in Kreiensen verspäteten Zuges. Von Westpreussen zurückgekehrt find ich nun Ihre inhaltsschwere Ostpreussische Epistel vor und ersehe daraus was ich durch die Tücke des Objektes versäumt habe.

Aber vorerst herzlichen Dank für die unverantwortliche Mühe, die Sie sich gegeben haben Ihre famose Rechenweise auch dem Nichtmathematiker verständlich zu machen. Mündlich wäre das viel einfacher gewesen. Aber ich habe mir nun auch Mühe gegeben und bewundere mit wie einfachen Mitteln Sie zum Ziele gelangen. Gerade /2/ der Haken der Ihnen die Betrachtung "etwas bedenklich" macht, erscheint mir das Interessante an der Sache und wäre die Schwierigkeit gewesen, über die ich nie hinweggekommen sein würde: Sie setzen stracks \begin{math} \eta' = \sum_1^\infty \frac{d (\frac{h n}{n \pi} \sin(\frac{n \pi}{h} x)}{dx} \end{math} obwohl es die Lehrbücher nur erlauben wenn die neue Reihe konvergiert und ob das der Fall ist weiß man wohl wenn man die $k_n$ kennt. Aber Sie thun sicher recht daran, denn auch eine divergente Reihe hat einen bestimmten Werth. Nur muß man ihn finden und bei der vorliegenden Aufgabe (wo die Divergenz durch Differentiation der Glieder per quasi nefas entstanden ist) kann dies wahrscheinlich immer geschehen durch Integration der Glieder /3/ und Rückdifferentiation der Summe wie etwa bei folgendem einfachen Beispiele geschieht \begin{eqnarray*} u_0 \left(\cos x + \cos 3x + \cos 5x \dots{} \right)
-u_0 \frac{d}{dx} \left( \int \cos x + \int \cos 3x \dots{}\right)
= u_0 \frac{d}{dx} \left(\sin x + \frac{1}{3} \sin 3x + \frac{1}{5} \sin 5x \dots{}\right)
= u_0 \frac{d \left(\frac{\pi}{4}\right)}{dx} = 0 \end{eqnarray*} Bei Beschränkung auf Glieder von der niedrigsten Ordnung im Bezug auf $A h$ fallen die divergierenden Reihen in unserem Falle übrigens von selbst weg, denn die Glieder mit $u_0$ ergänzen sich (unter Berücksichtigung daß $u_0 - k_0 = -u_0 A h$) mit anderen deren Koeffizienten $k_0$ /4/ betragen zu Gliedern von der Größenordnung $A h$ und drum müssen alle diese Glieder wie Sie selbst sagen vollständig hingeschrieben werden. Thut man dies so erhält man aus Ihrer Gleichung 3) für \begin{eqnarray*} n = \textrm{ gerade: } k_n = 2 u_0 -2 k_0 + 2 u_0 A h
k_n = - 2 u_0 A h + 2 u_0 A h = 0
n = \textrm{ ungerade: } k_n = - 2 u_0 + 2 k_0 - 2 u_0 A h - \frac{8 u_0 A h}{\pi^2 n^2}
k_n = + 2 u_0 A h - 2 u_0 A h - \frac{8 u_0 A h}{\pi^2 n^2} = - \frac{8 u_0 A h}{\pi^2 n^2} \end{eqnarray*} Unsere beiderseitigen Näherungsformeln sind also identisch, was sie auch sein müssen da sonst die eine von beiden falsch wäre.

Die Deduktion Ihrer strengen