Aachen, Vaelserstr. 148, d. 20. 11. 1898
Sehr geehrter Herr College!
Haben Sie herzlichen Dank für Ihren freundlichen ausführlichen Brief und Ihre gütige Auskunft über die Inductionscoefficienten! Die Stelle in Kirchhoff, welche ich meinte, steht in den Ges. Abhandlungen, Leipz. 1882, S. 176 (Aus Pogg. Ann. Bd. 121, 1864).
Was nun Ihre Fragen anbetrifft, so möchte ich vor allem das Geständnis voranschicken, dass ich gerade über die Dinge, über welche Sie Auskunft wünschen, und namentlich über die Frage, ob, wo und in welcher Weise sich [?] dem Unendlichen ausstrahlende Teil der Energie von dem zurückkehrenden abtrennt, noch keineswegs zu völliger Klarheit gelangt bin. Ich hatte mir vorgenommen gerade hierüber noch weiter nachzudenken, komme nur jetzt leider vor lauter /2/ Amtsgeschäften recht wenig dazu.
Ueber die Frage, wie man die Identität einer zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Lagen befindlichen Kraftlinie feststellen soll, werden Sie vielleicht in den beiden Abhandlungen meines Collegen M. Wien "Ueber den Begriff der Localisirung der Energie", Ann. der Physik u. Chemie, Bd. 45, 1892, S. 685-728 und "Ueber die Bewegung der Kraftlinien im electromagnetischen Felde" ebd. Bd. 47, 1892, S. 327-344 den gewünschten Aufschluss finden. Ihr Vorschlag, zur Identificirung die Phase zu benutzen, scheint mir nicht recht zweckmässig, da derselbe zunächst nur bei periodischen Bewegungen anwendbar wäre und noch eine Erweiterung für aperiodische Bewegungen hinzugefügt werden müsste.
Ueber die Bestimmung desjenigen Teiles der Energie, welcher durch Strahlung verloren geht, habe ich mich schon vor Monaten wiederholt mit Wien unterhalten. Er sagte mir damals, /3/ das Einzige, was darüber gemacht wäre, sei die Abhandlung von Hertz "Die Kräfte elektrischer Schwingungen, behandelt nach der Maxwell'schen Theorie", Wied. Ann. 36, 1888, p. 1, = ges. Werke II, S. 147-170.
Leider besteht hierin die einzige Auskunft, welche ich Ihnen auf Ihre Fragen geben kann. Um so mehr würde es mich freuen, wenn es Ihnen gelänge durch erschöpfende mathematische Behandlung des einen oder anderen speciellen und möglichst einfach gewählten Falles auf diesem noch recht dunkelen Gebiete grössere Klarheit zu schaffen.
Mit tausend herzlichen Grüssen
Ihr ergebenster
H. v. Mangoldt.