Göttingen 20/9 99.

Lieber Sommerfeld

Gratias ago maximas Arnoldo et uxori gratulantibus! Vivant sequentes!

Was nun die Hauptsache betrifft, auf die ich sofort antworte, so kommt Ihr Brief vielleicht einen Tag zu spät. Sie kennen ja das amerikanische Tempo des Meisters, gegen das selbst Backhaus nicht ankommen würde. Mittwoch Mittag war ich wieder hier, Abends suchte ich Klein auf, Donnerstag Nachmittags war bereits Spaziergang mit Hilbert und mir, um die Frage der Nachfolge zu erledigen, Donnerstag Abend bereits officielle Conferenz der Seminardirectoren, /2/ um die definitiven Beschlüße zu faßen. Die Sache geht nämlich nicht durch die Facultät.

Wer der in erster Linie ins Auge gefaßte Nachfolger ist, werden Sie ja wißen; ich glaube kaum, daß ich indiscret bin, indem ich seinen Namen "Scheffers" hierhersetze. Kommt er, so ist die Sache erledigt - man hat, wie ich vermute, um die Verhandlungen zu kürzen, nur einen Namen vorgeschlagen. Lehnt er ab, so beginnt die Schwierigkeit. Ob er das eine oder andere tut, ist nicht leicht zu sagen; die mathematischen Intereßen sollten auf alle Fälle ihn bestimmen, zu kommen, soweit ich höre, ist er financiell unabhängig und braucht daher mit dem /3/ eventuellen materiellen Ausfall nicht zu rechnen. Wenn er aber in Darmstadt bleibt - vielleicht erreicht er dort durch den Ruf ein Ordinariat! - so beginnt hier die Traurigkeit und die Sachlage wird penibel. Für diesen Fall allein könnte also auch Ihr heute erhaltener Brief in Frage kommen. Nun ist ja evident, daß ich in den nächsten Tagen an Hilbert, der Sie sicher gern hier hätte, seinen Inhalt mitteilen werde. Aber ich vermute, daß die Bedingung des persönlichen Ordinariats die Sache illusorisch macht. Klein will einen jüngeren Mann, der in ihm eine Art Vorgesetzten sieht; seine Idee ist ja die, daß überall und so auch im universitären Leben das "\textgreek{e\ ic ko`iranoc >'estw}" /4/ Geltung finden soll - schon aus diesem Grunde würde er niemals einen dritten Ordinarius in Göttingen wiederauferstehen laßen! Selbst die Art, wie hier diesem Nachfolger Lehrauftrag und Lehrtätigkeit festgesetzt sind, läßt dies ganz ausgeschloßen erscheinen; ich halte es daher meinerseits für richtiger, Klein zunächst nichts von Ihrem Brief zu sagen; ich lese auch aus diesem Brief heraus, daß ich damit jedenfalls warten soll, bis Klein etwa von selbst wieder sich auf die Suche begiebt, und sein Blick dabei nach Clausthal streift.

Ihre Frau Mutter und Herrn Vater wollte ich in Königsberg aufsuchen, bin aber leider nicht dazu gekommen, da mich die Wohnungssuche die ganzen zwei Tage, die ich dort war, in Anspruch genommen hat. Wahrscheinlich werde ich, wenigstens für das erste Jahr in der Cochrus'schen Schule wohnen, Tragheimer Pulverstr. 28/29. II. Die Wohnungsfrage in Königsberg ist leider schwierig.

Herzliche Grüße, auch an die liebe Ihrige von Ihrem

A. Schoenflies