Strassburg d. 18ten Juni 1898.
Sehr geehrter Herr College!
Nur vorläufig und vertraulich möchte ich Ihnen heute von einer Sache Mittheilung machen, bei der ich auf Ihre Unterstützung hoffe.
Mein Verleger Vieweg hat mir neulich den Wunsch ausgesprochen, dass ich eine neue Ausgabe der Riemannschen Vorlesungen über partielle Differentialgleichungen besorgen solle. Ich habe mich noch nicht zu einer bestimmten Antwort entschlossen, da mir die Sache doch mancherlei Schwierigkeiten zu haben scheint, aber auf der anderen Seite mich die Sache reizte, einestheils wegen Riemann, anderen Theils auch wegen des Gegenstandes, für den ich immer eine besondere Vorliebe gehabt habe. Soviel steht nun aber jetzt fest, dass ich die Sache /2/ nicht allein unternehmen kann, und da wäre mir dann keine Hilfe willkommener und erwünschter, als die Ihrige. Ich weiss zwar durch Prof Klein, dass Sie eine grosse und weitausschauende Verpflichtung für die Encyklopaedie übernommen haben; ich wage aber trotzdem, auch noch mit diesem Vorschlag zu kommen, da doch die beiden Arbeiten sehr verwandt sind, und ihnen die eine bei der anderen nützlich sein wird. Auch brauchen wir ja nicht zu einem bestimmten Termin fertig zu werden, sondern können uns Zeit nehmen.
Meine Meinung über die Sache wäre etwa die, dass man die ursprünglichen Riemannschen Vorlesungen, von denen ich übrigens noch verschiedene Hefte besorgen könnte, nur als Grundlage benutzt, sich im übrigen Änderungen und Erweiterungen aller Art vorbehält, /3/ so dass man ein auch noch heute brauchbares und in seiner Art vollständiges Werk über die partiellen Differentialgleichungen der Physik erhält. Alles von vorwiegend physikalischem Interesse und Principielle würde bei Seite gelassen werden müssen, so dass die betreffenden Differentialgleichungen als etwas gegebenes betrachtet, nur etwa ihre Bedeutung etwas klar und anschaulich gemacht werden müsste. Ebenso aber wären die allzu mathematischen Existenzbeweise wegzulassen, und der Nachdruck hauptsächlich auf die für den Physiker brauchbaren Methoden der Integration zu legen, was hauptsächlich auf die Durchführung einzelner Probleme hinauskäme. Darin aber könnte man dann soweit gehen als möglich.
Ich denke dabei auch sehr an die Vermittlung mit unseren alten guten Königsberger Traditionen. /4/ Wie schon gesagt, bin ich noch keineswegs entschlossen, was ich thun soll. Es wäre mir aber sehr erwünscht, einmal Ihre Meinung über diese Pläne zu hören. Sollten Sie Sich zur Mitarbeit entschliessen, so würde ich vorschlagen, dass wir Arbeit und Honorar, das ich mit Vieweg möglichst günstig zu vereinbaren suchen würde, zu gleichen Theilen theilen.
In der Erwartung Ihrer Antwort bin ich mit freundlichem Gruss
Ihr ganz ergebener
H. Weber.
Strassburg i. Els.
Goethestrasse 27.