Strassburg 4. II. 1900
Sehr geehrter Herr College!
Ich sage Ihnen meinen besten Dank für Ihren freundlichen Brief, der mir in mehrfacher Hinsicht sehr interessant ist. Dass Sie Van't Hoff zur Mitarbeit für die Encyklopädie gewonnen haben, ist sehr erfreulich und ein grosser Gewinn für uns. Was meine bescheidene Mitarbeit dabei betrifft, so bin ich sehr gerne dazu bereit, wenn ich Ihnen dadurch irgend wie nützlich sein kann. Ich würde aber doch der Meinung sein, dass es besser wäre, es V. H. zu überlassen, die Sache ganz auf seine Weise und aus einem Guss zu machen. Für den Theil, wo ich überhaupt einigermassen mitreden /2/ [kann] würde wesentlich nur die Abhandlung von Planck in Betracht kommen, die ja V. H. jedenfalls auch kennt und über die er sich aus bester Quelle Rath erheben kann. Die paar Ansätze zur Integration sind bis jetzt noch nicht bedeutend.
Was Sie mir über Wiecherts Auffassung von "Vector" und "Rotor" schreiben, hat mich gleichfalls sehr interessiert. Dieser Dualismus leuchtet, mathematisch genommen, sofort ein und ohne Zweifel wird er auch für die physikalische Auffassung seine Bedeutung gewinnen. Einstweilen scheint mir aber, wie Sie selbst schreiben, die Sache noch etwas zu neu und den meisten Physikern zu fremd, um bereits in ein Lehrbuch wie das, was ich gegenwärtig in der Arbeit habe, aufgenommen zu werden. Indessen will ich /3/ der Sache jedenfalls noch genauer nachdenken.
Durch die Zeitungen geht die Nachricht, dass Sie nach Aachen an Ritters Stelle berufen seien. Da Sie in Ihrem Briefe nichts davon erwähnen, so nehme ich an, dass die Sache vielleicht noch nicht ganz zum Abschluss gekommen ist. Sollte es aber der Fall sein, so nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch. Ich würde mich sehr freuen, wenn durch Ihre Berufung die strenge mathematische Richtung an der technischen Hochschule eine Stärkung erhalten würde.
Mit besten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin und den herzlichsten Grüssen an Sie
Ihr ergebenster
H. Weber