Torbole, den 3. April 1912
Hochgeehrter Herr College!
Dass Debye Sie verlassen will, hat mich sehr überrascht, da er doch Weihnachten entschlossen war in Utrecht abzulehnen, und von mir hierin bestärkt wurde. Als ich davon hörte, wollte ich alsbald an Sie schreiben und Sie bitten, sich über seinen Entschluß nicht zu kränken. Aus Ihrem heutigen Brief sehe ich aber, dass Sie ihm Ihre Zuneigung vollständig erhalten haben. Gewiß dürfen Sie ihm sein Fortgehen nicht als Undank/2/barkeit auslegen. Das große Entgegenkommen, das er bei Ihnen und bei den Züricher Behörden gefunden hat, hat er stets dankbar gefühlt. Offenbar ist ihm etwas bange geworden vor der Vielseitigkeit seiner Züricher Tätigkeit, und er glaubte sich künftig auf sein engeres Gebiet concentriren zu müssen.
Was Laue betrifft, so ist er ohne Frage der tüchtigste der jüngeren Forscher auf dem theoretisch-physikalischen Gebiet. Sein Buch über Relativität war ein grosser Erfolg und wird allseits anerkannt. Er war einer der allerersten, der die Bedeutung der Einstein'schen Entdeckung erkannte; z.B. hat er daraus /3/ //vor Einstein// sogleich den Fresnel'schen Mitführungscoefficienten abgeleitet. Sein Urteil ist von grosser Sicherheit, z.B. als er Fehler in der Arbeit von Kohl über den Michelson-Versuch nachwies. Sehr interessant sind seine früheren Arbeiten über die Thermodynamik cohärenter Strahlen, auf die Planck in allgemeinen Aufsätzen wiederholt zu sprechen kommt (Rede in Leiden und Vorlesungen a. d. Columbia-Universität).
Laue hat in München namentlich gelesen über Optik (mit manchen originellen Versuchen), Thermodynamik, Relativität, Elektronentheorie und hat mir bei Übungen über die physikalischen Differentialgl. geholfen. In den beiden letzten Semestern hat er selbst im Anschluß /4/ an seine Vorlesungen ein Colloquium abgehalten, in dem die Teilnehmer Vorträge hielten, gern und mit sorgfältiger Präparation über moderne Themata. Dies ist entschieden ein großer Lehrerfolg für einen Privatdocenten angesichts des Umstandes, dass auch der Ordinarius die Studenten nur schwer zum Reden bringt. Laue hat sich bisher immer an einen kleinen Kreis von Studirenden gewandt, die wirklich etwas lernen wollen, und hat diese ausserordentlich gefördert. Sie haben sich es z.B. immer gern gefallen lassen, wenn er Stunden einlegte. Ich schreibe dies, um zu zeigen, dass Laue tatsächlich ein am Unterricht lebhaft interessirter, eindrucks/5/voller Docent ist. Er stellt an sich und seine Zuhörer hohe Anforderungen. Niemals wird er etwas vortragen, was er nur halb durchgedacht oder nicht auf die einfachste Form gebracht hat. Auch wird er im Interesse sog. populärer Darstellung nicht leicht seinen Zuhörern die principiellen Schwierigkeiten eines Gegenstandes unterschlagen. Im persönlichen Verkehr spricht er etwas schnell und hastig, ex cathedra aber ist sein Vortrag stets wohlgeordnet und wird von mitarbeitenden Zuhörern nur ge/6/rühmt. (In seinen ersten Münchener Semestern hat er entschieden zu schwer vorgetragen. In den letzten drei Semestern hat er dies abgelegt). Er ist auch experimentell interessirt und anregend, nicht in so hohem Maaße wie Debye, aber doch so, dass er von den Röntgen'schen Praktikanten und Assistenten wiederholt um Rat gefragt ist, und zwei derselben jetzt zu einer praktischen Arbeit in meinem Institut veranlasst hat. Persönlich ist er tadellos, ich habe in diesen 3 Jahren nie eine Differenz oder eine Schwierigkeit mit ihm gehabt. So befreundet wie mit Debye den ich von seinen ersten wissen/7/schaftlichen Schritten her kenne, bin ich mit Laue natürlich nicht. Seine Natur ist auch zurückhaltender. Laue hat eine nette junge Frau, keine Kinder, ist pekuniär ziemlich unabhängig. Er wird sicher mit Freuden nach Zürich kommen, ist auch sofort abkömmlich. Dass man ihn in Tübingen zu Gunsten von Edgar Meyer übergangen hat, hat ihn recht gekränkt. Es war dies auch auffallend, da doch Paschen sich bei Einstein und mir erkundigt hatte u. wir ihm gleichlautend u. unabhängig von einander Laue als den gegebenen Candidaten für ein theoretisches Extraordinariat empfohlen hatten.
Hn. Greinacher möchte ich kein /8/ Unrecht tun, bin auch wohl nicht vollständig über ihn unterrichtet. Aber ich habe den Eindruck, als ob er auf mathematisch-physikalischem Gebiet nicht eigentlich aus erster Hand schöpft. Dass er sich als produktiver Forscher auf theoretischem Gebiet mit Laue messen könnte, ist wohl ausgeschlossen. Laue ist eben einer der klarsten Köpfe, die wir überhaupt haben, und gleicht in dieser Hinsicht seinem Lehrer Planck. Wahrscheinlich würde Laue auch gern bereit sein (dass er dazu imstande ist, bezweifle ich nicht) nötigenfalls in dem mathematischen Unterricht mitzuhelfen, über physikalische Differentialgl., Fourier'sche Reihen, Mechanik. Laue hat hier in den letzten Jahren /9/ einen ausserordentlichen Eifer im Unterricht entwickelt. Auch darin dürfte er Hn. Greinacher überlegen sein, der soviel ich weiss nur wenige Vorlesungen über ein enges Gebiet gehalten, sich das Leben in dem Punkte ziemlich leicht gemacht und nicht wie Laue nach einer allseitig umfassenden Lehrtätigkeit gestrebt hat, um dabei selbst immer wieder Neues zu lernen.
Ihre Züricher Stelle hat doch durch Einstein einen besonderen Nimbus erhalten. Debye konnte das Einstein'/10/sche Erbe durch engere Fühlung mit den Studirenden und intensivere Lehrtätigkeit noch mehren. Laue gehört theoretisch durchaus in die Interessenrichtung Einstein-Debye und wird in demselben Sinne arbeiten. Dr. Greinacher aber dürfte doch wohl dieser Art Physik ziemlich fern stehn; - ob ich ihm mit dieser Annahme Unrecht tue, werden Sie am besten selbst controlliren können.
Mit meinem allgemeinen Urteil über Laue glaube ich einig zu gehen mit Planck, W. Wien, Einstein. Experimentell hat er kein so grosses Geschick wie Debye, aber auch lebhafte /11/ Interessen. Er ist um mehrere Grade theoretischer gerichtet wie Debye. Den besonderen Blick für das physikalisch-Reale und die ausserordentlich schnelle Auffaßung, die Debye auszeichnet, würde ich ihm auch nicht in gleichem Maaße zusprechen.
Nun habe ich Ihnen wohl alles geschrieben, was für Sie von Wert sein kann. Sie werden aus meinem Briefe sehn, dass ich gern gründlich und unparteiisch sein möchte. Auch wenn ich Laue diesen Ruf sehr wünsche, so wünsche ich doch ebenso, dass Sie in diesem Falle mit mir annähernd ebenso zufrieden sein möchten, /12/ wie im Falle Debye - annähernd, denn schliesslich ist Debye doch noch eine andere menschliche und wissenschaftliche Persönlichkeit.
Mit herzlichem Gruß und in besonderer Hochachtung
Ihr A. Sommerfeld.