München, 27. Okt. 1901.
Hochgeehrter Herr College!
Für die freundliche Übersendung Ihres Vortrags, der mich in hohem Grade interessirte, danke ich Ihnen verbindlichst. Ich wurde dadurch an eine meiner früheren Arbeiten erinnert. Meiner Meinung nach ist nämlich der Brückeneinsturz in Mönchenstein, der s. Zt. so vielen Menschen das Leben kostete, in erster Linie durch eine Resonanzwirkung von derselben Art, wie Sie sie besprachen, zu erklären. Einen Sonderabzug, aus dem Sie das Wesentlichste entnehmen können, erlaube ich mir Ihnen unter Kreuzband zugehen zu lassen, da ich annehme, daß Ihnen ein durch die verhängnisvolle Wirkung so bemerkenswertes Beispiel für die von Ihnen besprochenen Erscheinungen /2/ nicht ohne Interesse sein wird.
Die Mönchensteiner Brücke hatte eine Construction, bei der gewisse freie Schwingungen von verhältnißmäßig sehr großer Schwingungsdauer möglich waren. Die Annahme, daß eine Resonanzwirkung den Unfall verschuldet habe, lag daher von vornherein sehr nahe. Erst nach dem Druck des Ihnen zugesandten Aufsatzes ist mir indessen ganz klar geworden, worin die Anstösse bestanden haben müssen, die die Schwingungen erregten u. ich möchte dies daher hier noch nachtragen. Bei der üblichen Art des Massenausgleichs bei den Lokomotiven (durch Anbringen eines "Gegengewichts") werden nämlich die horizontalen Kräfte ziemlich ausgeglichen, natürlich aber auf Kosten des Massenausgleichs in senkrechter Richtung. Der Raddruck der Lokomotive auf die Brücke ist daher (abgesehen von einem constanten Gliede) nach einer Sinusschwingung veränderlich und ein Vergleich der Zeiten, soweit er auf Grund der mir bekannten Daten möglich war, zeigte, daß in der That /3/ eine Resonanz zwischen dieser erregenden Schwingung u. der freien Schwingung des Obergurts bestand. Ich bin daher nachträglich noch mehr, als zur Zeit der Abfassung des Aufsatzes in der Meinung bestärkt worden, daß die Resonanzwirkung die Hauptursache für den Einsturz gebildet hat.
Ich bin zwar zu jener zeit wegen meiner Ansicht stark bekämpft worden; trotzdem hatte aber mein Eintreten dafür den Erfolg, daß nachträglich alle Brücken jener Bahn, die der eingestürzten gleichen, so umgebaut wurden, daß die Quersteifigkeit erhöht und hiermit die Schwingungsdauer der Eigenschwingungen erheblich verkleinert wurden.
Auf solche Dinge wird, wie Sie ganz richtig bemerken, noch viel zu wenig geachtet, wenn auch, wie Sie hieraus ersehen werden, wenigstens ein Fall, der von besonderer praktischer Wichtigkeit ist, schon ausführlich erörtert wurde und auch jetzt in den Kreisen der Brückenbau-Ingenieure ziemlich bekannt sein dürfte.
Mit besten Grüßen
Ihr ganz ergebener
A. Föppl.