München, 31. Jan. 1902.

Hochgeehrter Herr College!

Vor einigen Wochen erlaubte ich mir die ergebene Anfrage, welche Lücken oder Mängel Sie etwa gelegentlich bei dem Gebrauch meiner "graphischen Statik" bemerkt haben sollten. Da Teubner eine möglichst schnelle Herstellung des Manuskripts für die Neu-Auflage wünscht, möchte ich mir erlauben, meine Bitte nochmals zu wiederholen. Natürlich bin ich nicht so unbescheiden, von Ihnen zu erwarten, daß Sie mein Buch eigens zu diesem Zwecke nochmals durchlesen würden. Ich möchte nur angesichts der mir aus dem mathematischen Lager in den letzten Jahren erwachsenen Gegnerschaft nichts unversucht lassen, um Kenntniß von etwaigen offenkundigen Fehlern in dem jetzt neu herauszugebenden Bande zu erlangen. Selbstverständlich liegt es mir dabei auch ganz fern, etwa aus dem Umstande, daß Ihnen zufällig kein Fehler aufgefallen sein sollte, eine ausdrückliche Billigung meines Buches herauszukonstruiren oder die Namen der Herren, die mir in /2/ diesem Sinne schrieben, den Namen meiner Gegner gegenüber zu stellen. Ich würde vielmehr von Ihrer gütigen Antwort nur den diskretesten Gebrauch zu meiner eigenen Information machen.

Da Sie sich selbst kürzlich mit ähnlichen Gegenständen beschäftigt haben, wird es Sie vielleicht interessiren, daß in der letzten Nummer der elektrotechnischen Zeitschrift ein Aufsatz von mir über Maschinenschwingungen, nämlich über das in der Praxis sehr gefürchtete 'Pendeln' parallel geschalteter Maschinen erschienen ist. Sobald ich die Sonderabzüge erhalte, werde ich mir erlauben, Ihnen einen zu übersenden. Hierbei möchte ich übrigens schon jetzt bemerken, daß gegen meine Behandlung, wie ich selbst recht wohl weiß, Manches einzuwenden ist. Es kam mir aber darauf an, zu praktisch möglichst einfach zu handhabenden Vorschriften zu gelangen, von denen ich meiner Schätzung nach annehmen zu dürfen glaube, daß sie genau genug zutreffen werden. Die Einwendungen, die man gegen das Eine oder Andere machen kann, unterließ ich zu erwähnen, um den Leser nicht zu verwirren. Der Aufsatz ist eben zunächst /3/ nur in der Absicht geschrieben, zum Vergleiche der im praktischen Betriebe gemachten Beobachtungen mit ein paar einfachen Formeln anzuregen. Sollte sich dabei - wider Erwarten - herausstellen, daß die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit noch nicht genügend ist, so werde ich schon noch mit Weiterem hervortreten, falls dies inzwischen nicht schon von anderer Seite geschieht.

In Hoffnung auf baldige freundliche Antwort, bin ich mit collegialem Gruße

Ihr ganz ergebener
A. Föppl

Adresse: technische Hochschule,
München.