München, 19. Dec. 1904.

Hochgeehrter Herr College!

Ich danke Ihnen sehr für Ihre freundliche Karte und die Formulirung Ihres "Glaubensbekenntnisses". Dieses muß ich natürlich wie jedes aufrichtig gemeinte Glaubensbekenntniß achten, wenn ich ihm jetzt auch nicht mehr zustimmen kann, wie ich dies früher that. Sie mögen also, wie ich gern zugebe, recht haben u. hiermit fällt natürlich von Ihrem Standpunkte aus Alles zusammen, was ich von einem anderen aus entwickelt habe.

Sollten sich aber nicht doch unsere Ansichten schließlich vereinigen lassen? Ich glaube auch an den Äther, wenn ich auch mit aller Vorsicht vermieden habe, von ihm zu reden, da es mir darauf ankam, die Sache einmal ganz ausschließlich vom Standpunkt der alten Mechanik aus zu betrachten.

Aber wie verhält es sich nun mit /2/ diesem "ruhenden" Äther? Nehmen Sie einen deus ex machina an, der ihn festhält, so trennen sich freilich unsere Wege. Ich meine, daß es die Massen des Weltalls sind, die ihn halten und regeln, gleichgültig wie man sich dabei nun auch die Rolle dieser Massen denken mag. Ich meine also mit anderen Worten, daß die Massen den Äther schon mit sich führen könnten, daß aber der Einfluß der Fixsternwelt dabei so überwiegend ist, daß er für uns praktisch festliegt und nur in ganz geringem Grade von den Massen unseres Sonnensystems noch mitgenommen werden kann.

Jedenfalls freue ich mich, mit Ihnen darin übereinzustimmen, daß das elektrodynamische Inertialsystem auch als das der Mechanik zu betrachten ist. Denn ich habe mir von Anfang an gedacht, daß meine Versuche u. Überlegungen in der Sprache des Äthers ausgedrückt darauf hinauskommen, ob der Äther nicht doch äußerst wenig mitgenommen wird. Auf dem elektrodynamischen Gebiete ist /3/ diese Frage jetzt in regem Flusse und ich wollte genau dieselbe Frage nun auf dem Gebiete der alten Mechanik in der gleichen Richtung in Angriff nehmen. Ich glaube, daß nach dieser Richtung auch noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist und daß man sich vielleicht noch auf ganz neue - rein mechanische - Erscheinungen gefaßt machen darf, wenn ernstlich genug danach gesucht wird, was meiner Meinung nach nur zu lange versäumt wurde.

Mechanik und Elektrodynamik könnten sich dann zu einem weit vollständigeren Weltbilde ergänzen, als jede einzeln es zu liefern vermag.

Mit besten Grüßen

Ihr ganz ergebener
A. Föppl.