Göttingen, 21. II. 09.
Hochgeehrter Herr Professor,
Wie Ihnen Herr Runge mitgeteilt hat, bin ich gerne bereit den Artikel "Spektralanalyse" für die Enzyklopädie beizusteuern. Nur liegt mir hierbei eine Bedingung sehr am Herzen, von der ich zwar glaube dass sie sowieso erfüllt sein wird, die ich aber doch ausdrücklich stellen muss und auch Herrn Prof. Runge gegenüber betont habe.
Wie Sie vielleicht wissen, ist. z.Z. von der hiesigen Ges. der Wissenschaften ein Preis ausgeschrieben für eine möglichst vollständige kritische Bearbeitung des vorliegenden Materials über Seriengesetze und die sich daran knüpfenden Theorien. Ich habe mich mit diesem Gegenstand jahrelang beschäftigt und in letzter Zeit verschiedene Vorarbeiten ausgeführt, die es mir insbesondere möglich machen statt eines unübersichtlichen Chaos mehr oder weniger absonderlicher Vorstellungen, eine /2/ nach bestimmten Prinzipien geordnete Uebersicht der bestehenden Theorien aufzustellen, wodurch natürlich die Einsicht in das wirklich Erreichte und das noch Fehlende sehr erleichtert wird. Sowohl diese Vorarbeiten wie auch die bibliographischen und kritischen Untersuchungen müssten für den Encyklop. Artikel herangezogen werden. Würde nun dieser Artikel veröffentlicht vor dem Einreichungstermin der Preisaufgabe (1 Aug. nächsten Jahres), so könnte das begreiflicherweise für mich einen beträchtlichen Schaden bedeuten, und wäre jedenfalls Wasser auf die Mühlen etwaiger Concurrenten. Ich muss Sie daher bitten mir mitzuteilen ob der Artikel vor der [sic] betreffenden Datum erscheinen muss: in diesem Falle muss ich leider darauf verzichten daran zu arbeiten. Im Andern Falle würden Sie gewiss dafür sorgen, dass er bis zu dem besprochenen Datum Unberufenen nicht vorgelegt wird. Meinerseits kann ich Ihnen die Versicherung geben, dass der Artikel mitte des Sommers jedenfalls zum grössten Teil, wahrscheinlich ganz, fertig sein wird; meine sehr schlechte Gesundheit erlaubt es mir nicht, ganz bestimmte Zusagen zu machen.
Bezüglich der Ausdehnung werden mehr als /3/ zwei Bogen wohl kaum in's Auge zu fassen sein, und auch diese Grenze würde nur erreicht, wenn sich viel mathematischer Satz als notwendig erweisen sollte, was ich nicht glaube.
Ich glaube kaum, dass der Termin 1. Aug nächsten Jahres für das Erscheinen des Heftes der Enzykl. unüberwindliche Schwierigkeiten machen wird, und sehe daher Ihrer versprochenen Sendung des Lorentz-Artikels, der Art des Citirens, des Honorars u.s.w. entgegen.
Vom 10. März bis 25. April ist meine Ferienadresse: Zürich, Universitätstr. 85, (Schweiz)
Die bibliogr. Vorarbeiten werde ich in Zürich grösstenteils beendigen können, und Ihnen davon eine erste Disposition des Stoffes mitteilen.
Ich benutze die Gelegenheit um Sie um Mitteilung zu bitten ob Sie sich über Ihren Gedanken, an die von Herglotz entdeckten Eigenschwingungen des freien Elektrons anknüpfend, ähnliche Schwingungen für die Theorie der Serien heranzuziehen, noch anderswo als in den Gött. Nachr. ausgesprochen haben? Ich gestehe dass ich nicht einzusehen vermag wie Wellenlängen die mit denen des sichtbaren Lichtes vergleichbar seien, auf diesem Wege herstellbar sind; es werden doch höchstens für $\lambda$ die Dimensionen des Moleküls herauskommen? Auch /4/ scheint mir eine Grenze der Schwingungszahlen prinzipiell ausgeschlossen - die Idee könnte allerdings immer noch auf Bänderspektren und ähnliche Spektren Anwendung finden. Da ich Ihren Gedanken nicht missverstehen möchte, wären mir einige erklärende Worte sehr wertvoll.
Da Sie in freundlicher Weise meiner Arbeit in den Ann. de ch. et ph. Ihre Aufmerksamkeit zuwenden wollen, so darf ich Sie vielleicht bitten - weil ich hierin vielfach missverstanden wurde - meine im zweiten Teil gegebene Theorie nicht als eine völlig ernst gemeinte, sondern als ein (wie ich glaube, besonders lehrreiches) Gegenbeispiel zu betrachten. Wie ich es in der Einleitung hervorhebe, liegt meiner Ueberzeugung nach die Zukunft auf Seite einer Theorie welche von der Verteilung und Bewegung der Energie im Raume ausgeht; bei welcher die Energie fortgeschleudert, nicht fortgepflanzt wird, und die deshalb zu einer Bewegungsgrösse der Energie und zum einfachen, klassischen Relativitätsprinzip zurückführt. Die grossen Schwierigkeiten beim Betreten eines so neuen Weges entschuldigen es wohl, dass ich mich zunächst mit einem Provisorium begnügt habe.
In vorzüglichster Hochachtung
W. Ritz
Hainholzweg 2, Göttingen.