Hotel Bellevue
Cadenabbia 12 IV. 12.
Verehrter Herr College!
Besten Dank für Ihren Brief vom 8. d.M. Hoffentlich bekommt Ihnen und Ihrer verehrten Frau die ungewohnte Beschäftigung mit dem Nichtsthun sehr gut!
Wenn ich auch hoffen kann, Sie demnächst zu sprechen, so möchte ich doch noch vorher auf den Inhalt Ihres Briefes schriftlich antworten. Sie sind so freundlich mich wiederholt um meine Ansicht über eine Habilitation von Dr. Ehrenfest zu fragen. Wie ich schon sagte habe ich die Ueberzeugung, dass Sie nicht nur allein maassgebend sind mit Ihrem Urtheil, sondern dass Ihr Urtheil auch ein objektives ist. Deshalb wird mir Ihre Wahl immer recht sein, und werden //mir// meinen eventuellen Bedenken /2/ kaum ein Gewicht beizulegen sind [sic].
Das vorausgesetzt, will ich nun doch noch in Bezug auf die event. Habilitation des Hrn. E. an Sie eine Frage stellen; vielleicht nur deshalb damit Sie sehen, dass Ihre Annahme, ich interessiere mich lebhaft für unsere physikalischen Verhältnisse, wirklich richtig //war// ist. Was Sie über E's Colloquiums-Vortrag schreiben ergänzt den Eindruck, den ich beim Lesen einiger Arbeiten von E. bekam, ganz wesentlich. Sie berührten in Ihrem Brief die Confessionsfrage, und ich darf deshalb wohl sagen, dass ich, nach dem was ich nun über E. erfahren habe, meine, dass seine Befähigung einen ächt jüdischen Typus habe. Geistreich, kritisch, dialektisch. Meine an Sie zu richtende Frage ist nun die: glauben Sie, dass E. unter Ihrer Leitung und durch Ihren Einfluss zum Physiker d.h. zu einem auf physikalischem Gebiet produzierenden Menschen sich ausbildet?
Vielleicht ist mein Bedenken ganz überflüssig, was mich natürlich sehr freuen würde. Auch handelt es sich nicht um eine Berufung auf eine dauernde Stelle; jedoch sind in dieser Beziehung Beispiele genug da, /3/ die auch in dem Fall der Annahme eines Privatdocenten zur Vorsicht mahnen.
Wir fahren nächsten Montag hier ab und hoffen am Dienstag in München zu sein. Für Wien wünsche ich Ihnen alles Erfreuliche. Mit herzlichem Gruss. Ihr ergebener
W. C. Röntgen