Göttingen, den 16. 11. 07.

Lieber Sommerfeld,

Es ist recht gut, dass der von mir übernommene Artikel über Spectralanalyse nunmehr anfängt mir auf den Nägeln zu brennen. Ich habe mir noch nichts davon überlegt und gar keine Vorarbeiten gemacht; denn wenn es nicht drängt, pflegt man dergleichen auf die lange Bank zu schieben. Ich hoffe in den Weihnachtsferien eine Arbeit, die ich für Teubner übernommen habe, fertig zu machen. Das Manuscript ist beinahe fertig, und dann kann ich an die Spectralanalyse gehn. Da Sie einen besonderen Artikel über Beugung haben, so kann ich mir wohl die Gittertheorie schenken. Sobald Wiens Artikel in Fahnen steht, sind Sie wohl so gut ihn mir zu schicken.

Ich weiss nicht, was Sie an Goldsteins Grundspectren so Merkwürdiges finden. Man weiss seit langem, dass man bei vielen Elementen andere Spectren bekommt, wenn man starke Flaschenentladungen betrachtet. Das hat er nun auch bei den Alkalien gefunden. Oder ist mir etwa entgangen, was seiner Entdeckung eine fundamentale Bedeutung giebt?

Was den Fehler betrifft, den ich bei Lindemann erster Teil die translatorische Bewegung gefunden habe, so bezieht er sich nur darauf, dass die Gleichung Seite 295 unten $39 - 30x - 7 x^2 = 0$ zwei reelle Wurzeln hat und nicht wie Lindemann angiebt zwei imaginäre. Sein Schluss, dass die Kraft demnach andauernd negativ sein muss, ist daher falsch. Sie kann nach dieser Gleichung auch positiv sein. Ich schrieb ihm darüber und er erklärte die Folgerung, dass die Kraft andauernd negativ sein müsse, für ein Versehn. An dem Ganzen ändert sich dadurch garnichts, sagt er. "Statt dass Energie ausstrahlt, strahlt dann eben Energie aus dem Unendlichen ein". Ich habe ihm geantwortet, dass sich mir bei diesem Einstrahlen der Energie aus dem Unendlichen alle meine physikalischen Haare sträuben.

Ihr
C. Runge