Hamburg, den 29. Mai 1902
Sehr geehrter Herr Professor!
Gestatten Sie mir Ihnen vor Allem meinen Dank auszusprechen für Ihr langes, interessantes Schreiben vom 18. dss. Mts. Es ist im hohen Grade liebenswürdig von Ihnen, daß Sie sich die Mühe nehmen meine mangelhaften Kenntnisse zu vervollkommnen, und ich weiß gar nicht wie ich zu der Ehre komme, mir so viel Zeit zu widmen.
Ich muß Ihnen wiederholen, daß ich Ihre Gleichungen und Entwickelungen vollkommen verstehe. Sie sind ja ganz analog den Gleichungen für liniare, gedämpfte Schwingungen, wie sie unter Anderem auch Föppl in seiner Mechanik behandelt. Mir ist die Sache nur noch nicht völlig in's Blut übergegangen, so daß ich den Vorgängen nicht ganz mit meiner Vorstellung folgen kann. Ich habe nämlich die Marotte nicht früher zufrieden /2/ zu sein, bis ich die Sache auch mit meiner Vorstellung vereinigen kann.
Ich bin leider in der letzten Zeit durch die laufenden Geschäfte ungemein in Anspruch genommen gewesen, so daß ich noch nicht in der Lage bin Ihnen ausführlich in der Sache schreiben zu können. Der Zweck meines gegenwärtigen Briefes ist daher nur hauptsächlich der, Ihnen meinen Dank auszusprechen und Sie nicht durch Stillschweigen zu der Annahme kommen zu lassen, daß ich Ihren so interessanten Auseinandersetzungen keine Aufmerksamkeit geschenkt hätte.
Die kleinen, schnellen Schwingungen, die ja nach Ihren Auseinandersetzungen vorhanden sein müssen, habe ich am Modell noch nicht beobachten können. Eine Verkürzung der Rollbewegung würde jedoch eine praktische Verwerthung des Principes ganz ausschließen. Es kommt in der Praxis darauf an die Schwingungen einzuschränken (die Amplitude zu verkleinern) und die Schwingungszeit zu verlängern.
Nach dem Modellversuch ließe sich das aber erreichen. Wenn eine neigende Kraft auftritt /3/ (also wenn ein Neigungsmoment wirkt, wie z.B. ein seitlich angehängtes Gewicht oder auch der neigende Effect einer Welle) so folgt das Schiff nur langsam der Folge der Kreiselwirkung, und wenn es geneigt ist und das neigende Moment verschwindet oder ein neues rückwärts neigendes auftritt, so richtet sich das Schiff nur langsam wieder auf. Hierin werden Sie mir doch zustimmen. Die Erscheinung ist also thatsächlich ebenso, als wenn ein ganz großer Kimmkiel vorhanden wäre. Das ist die Veranlassung weshalb ich von "Dämpfung" sprach.
Ich kann heute auf die Sache leider nicht weiter eingehen und behalte mir das vor, wenn ich nächste Woche von einer Reise nach Düsseldorf zurückkomme.
Mit freundschaftlicher Hochachtung
Otto Schlick.