Hamburg, den 8. Februar 1909.
Sehr geehrter Herr Professor!
Mit Ihrem Schreiben vom 3. dss. Mts. haben Sie mir eine große Freude bereitet, weil ich daraus ersehe, daß Sie sich meiner noch in so liebenswürdiger Weise erinnern und an meinen einfachen Arbeiten Anteil nehmen.
Die Versuche mit dem Schiffskreisel sind jetzt insofern zu einem gewissen Abschluß gekommen, als er in 3 verschiedenen Schiffen zur Anwendung gekommen ist und er sich dabei in seiner Wirkung vollkommen bewährt hat. Finanziell ist das Ergebnis für mich außerordentlich ungünstig, indem mich die Sache sozusagen ein Vermögen gekostet hat, und keine Aussicht vorhanden ist die Erfindung in ausgedehnterer Weise praktisch zu verwerten. Das Haupthindernis ist, daß der Apparat für ein größeres Schiff zu teuer wird. Ich hatte dies schon längst /2/ erkannt; ich hielt mich aber dennoch für verpflichtet, die Sache weiter zu verfolgen, weil sie wissenschaftlich so interessant ist. Ich habe also schließlich der Wissenschaft das schuldige Opfer gebracht.
Es wird mich natürlich ganz außerordentlich interessiren von Ihrer Rechnung Kenntnis zu nehmen, die Sie mit Bezug auf den Schiffskreisel angestellt haben. Ich fürchte nur, daß ich, nachdem ich solange Jahre die Mathematik vernachlässigt habe, nicht mehr in der Lage sein werde Ihren Entwickelungen folgen zu können.
Das Schwierige bei der theoretischen Behandlung des Problems besteht darin, daß man Annahmen und Voraussetzungen machen muß, die in der Praxis nicht annähernd zutreffen. Man muß z.B. einen Wellenzug von einer gewissen Regelmäßigkeit annehmen. Dies trifft aber niemals, selbst mit nur roher Annäherung zu und alles rechnen ist deshalb nur von geringem Wert. Ich muß offen sagen, daß mich die Behandlungsweise des Herrn Prof. Dr. Föppl garnicht befriedigt und ich würde in anderer Weise vorgehen, wenn ich die mathematischen Hilfsmittel genügend beherrschen könnte. Es ist von mir gewiß /3/ sehr anmaßend, wenn ich mich in dieser Weise äußere, und ich bitte das zu entschuldigen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich einmal Gelegenheit hätte mit Ihnen die Sache zu besprechen. Vielleicht findet sich Gelegenheit dazu, weil ich in den nächsten Tagen, wegen meiner schlechten Gesundheit nach Meran oder der Riviera reisen muß und ich auf meiner Rückkehr dann möglicherweise München besuchen werde. Professor Lorenz hat meinen Vorschlag als eine Annäherungsrechnung als zweckmäßig bezeichnet.
In den nächsten Tagen erscheint der Sonderabdruck meines Vortrages vor der Schiffbautechnischen Gesellschaft und ich werde mir erlauben Ihnen sofort ein Exemplar zu senden. Sie finden darin die Daten über die 3 bis jetzt ausgeführten Schiffskreisel, nämlich von den Dampfern "Seebär", "Silvana" u. "Lochiel". Leider sind nur die Daten über Seebär ganz vollständig, da sich bei den großen Kreiseln auf Silvana u. Lochiel nicht alle Werte durch Experimente bestimmen ließen. So läßt sich z.B. die Schwingungsperiode des Kreiselrahmens nicht ermitteln, weil der Rahmen trotz Kugellagern so viel Reibung hat, daß er nicht in's Schwingen zu bringen ist. Aus ähnlichen Gründen konnte ich auch die Schwerpunktslage durch Experimente nicht feststellen. Es ist ferner unmöglich /4/ die großen Schiffe durch einen Krahnen zu neigen und dann frei schwingen zu lassen um durch Abnahme der Amplitude die Dämpfung festzustellen.
Wenn Sie den Sonderabdruck meines Vortrages erhalten haben, so wollen Sie, bitte, mir nun noch sagen welche weiteren Angaben Sie noch wünschen und ich werde dann bemüht sein Alles zu beschaffen was für Sie von Interesse ist.
Mit Hochachtung ergebenst
Otto Schlick.