Hamburg, den 3. März 1909.
Hochverehrter Herr Professor!
Ich empfing Ihre freundlichen Zeilen vom 1. März und teile Ihnen in dessen Beantwortung zunächst mit, daß ich voraussichtlich noch nicht so bald verreisen werde, da erstens mein Befinden noch immer viel zu wünschen übrig läßt und dann weil das Wetter, auch selbst im Süden, noch so kalt ist. Sollten Sie später nach Berlin kommen und mein Befinden sollte sich gebessert haben, so könnte ich Sie vielleicht dort sehen.
Die Periode der Schwingungen des Kreiselrahmens, bei stillstehendem Kreisel und ruhendem Schiff betrug bei "Seebär" 2,30 Sekunden, und der Schwerpunkt des Kreiselrahmens unterhalb seiner Schwingungsachse war in einer Entfernung von 0,08 Meter gelegen. Die Schwerpunktslage wurde durch einseitiges Anhängen von Gewichten und Feststellung des dadurch erreichten Neigungswinkels ermittelt.
Die Abnahme des Schwingungsausschlages /2/ des Kreiselrahmens konnte leider nicht festgestellt werden, da die Reibung in den Lagern, trotz Anwendung von Kugellagern, viel zu groß war. Man mußte den Rahmen mit Hilfe von mehreren Arbeitern in Schwingungen erhalten, um die Periode annähernd festzustellen. Wenn die Arbeiter aufhörten, den Kreiselrahmen zu schwingen, so blieb er in irgendeiner beliebigen Neigung stehen. Nur bei ganz großen Neigungen von vielleicht 30° und mehr sank er um einige Grade zurück, aber nie in die vertikale Stellung.
Wenn der Kreisel beim "Seebär" rotierte und man versuchte, ihn mit Hilfe von etwa 3 Arbeitern an einem besonders hierzu angebrachten langen Hebel in Schwingungen zu versetzen, so neigte sich das Boot beträchtlich und geriet in Schwingungen von etwa 4 Sekunden Periode, das ist die Periode der Schiffsschwingungen bei stillstehendem Kreisel. Die Periode des Kreiselrahmens war dieselbe.
Es ist also wohl zu beachten: wenn der Kreisel den Impuls für die Schiffsschwingungen gibt, ist die Periode 4 Sekunden (wie beim Schiff ohne Kreisel) und wenn die Schwingungen des Schiffes den Impuls für die Kreiselschwingungen /3/ geben, so ist die Periode der Schiffsschwingungen 6 Sekunden. Im ersten Fall sind die Schiffsschwingungen nicht gedämpft, im zweiten Falle sind sie gedämpft.
Ich habe seinerzeit bei den Versuchen mit dem "Seebär" in England das Oberteil des Kreiselrahmens beschweren lassen, so daß also die Periode des Rahmens größer wurde: die Wirkung des Kreisels wurde dadurch wesentlich besser. Die Periode des Kreiselrahmens sollte nahezu unendlich groß sein, aber niemals unter die Periode des Schiffes heruntergehen.
Die Größe des Pendelausschlages des Kreisels bei schlingerndem Schiff, wobei also der Ausschlag des Schiffes nach jeder Seite nur 1 bis 2 Grad betrug, schwankte zwischen 20 und 35° und betrug in einzelnen Fällen 45°. Bei einem Ausschlag von 45° war ein sogenannter Stopper angebracht, der verhindern sollte, daß der Kreisel weiter ausschlägt. In einigen Fällen wurde dieser Stopper zerstört.
Aus der Periode der Pendelschwingungen und aus dem Ausschlag des Kreisels kann man ja /4/ auf das Maximum der Winkelgeschwindigkeit schließen, mit der der Kreisel durch die Mittellage schwingt. Der Drall (um mit Föppl zu reden) multipliziert mit dieser Winkelgeschwindigkeit gibt das dämpfende Moment für die Schiffsschwingungen und das Bremsmoment ist doch Drall x Winkelgeschwindigkeit der Schiffsschwingungen. Genaue Messungen konnten leider nicht angestellt werden. Ich hatte einen Manometer auf jedem Bremszylinder anbringen lassen, die Ergebnisse waren jedoch jedenfalls nicht correct.
Den Abstand des Kreiselmittelpunktes von der Pendelachse kann ich Ihnen augenblicklich nicht geben, da ich bei dem schlechten Wetter in meiner Wohnung sitze, während ich die Detailzeichnungen in meinem Büro habe. Sobald ich in die Stadt komme, werde ich die Maße ermitteln.
Ich muß nochmals betonen, daß die Voraussetzungen, die für die theoretischen Untersuchungen bis jetzt gemacht worden sind, nicht aufrecht erhalten werden können. Von regelmäßigen Schwingungen des Schiffes kann nicht im entferntesten die Rede sein. Es handelt sich ja um die von dem Wetter erzwungenen Schwingungen und ihre Periode ist daher abhängig von der Periode des Impulses. /5/ Ich habe oft beobachtet, daß die Schwingungsperiode beispielsweise in folgender Weise bei der Silvana verlief: 10, 8, 12, 9, 8, 10, 8, 9, 12, 10, 13, 8, 7, 12 u.s.w. Da kann man doch nicht von regelrechten Schwingungen sprechen. Man muß ja allerdings immer noch einige Annahmen machen und zwar muß man immer Wellengang voraussetzen, dessen Periode mit derjenigen der Schiffsschwingungen übereinstimmt, weil dies die stärksten Neigungen erzeugt.
[Abbildung]
In der Rechnung muß erscheinen der Winkel $\varphi_0$ den die Tangente an der steilsten Stelle der Wellenlinie mit der Horizontalen bildet. Dieser Winkel ist für gewisse Meere immer bekannt. Ferner muß der Neigungswinkel des Schiffes noch in Betracht kommen, den man noch als zulässig ansieht, wenn der Kreisel in Tätigkeit ist. Dieser Winkel würde etwa 1 bis 3 Grad betragen, je nachdem man eine mehr oder weniger starke Wirkung erzielen will.
/7/ Während sich die Welle von a nach c bewegt, ist das Schiff einem anwachsenden Neigungswinkel ausgesetzt, der wieder bei der Bewegung der Welle von c nach b in gleicher Weise abnimmt. Wenn man die Momente als Ordinaten und die Neigungswinkel als Abszissen aufträgt, so gibt das ein Diagramm von nebenstehender Figur.* [Abbildung] Es tritt nun aber wirklich eine kleine Neigung des Schiffes von etwa 1 bis 2° ein und bringt dadurch den Kreisel zum pendeln. Er macht vielleicht einen 20 mal so großen Ausschlag, also 20 bis 40° und bringt entgegengesetzte Neigungsmomente hervor, die gleichfalls ein Diagramm von obiger Gestalt geben. Die Flächen müssen dann annähernd gleich sein.- Wenn I das Trägheitsmoment des Kreisels, $\omega$ seine Winkelgeschwindigkeit, D das Drehmoment des Schiffes, h seine [?]ische Höhe, $t_0$ die Periode der Welle, und $\frac{\varphi}{\psi}$ das Verhältnis der restlichen Neigung des Schiffes (1-2°) zu dem Ausschlag des Kreisels (20-40°) bedeutet, so kann man den gesuchten Wert $I \omega$ zur Bestimmung der erforderlichen Kreiseldimensionen und Umdrehungszahl aus einer Gleichung finden von der Form: \begin{displaymath} I \omega = \frac{D \cdot h \cdot t_0}{2 \pi} \frac{\varphi}{psi} \end{displaymath} Hierbei ist die restliche Neigung von 1-2° allerdings vernachlässigt. Diese Werte stimmen in der Praxis besser als die nach Föppl berechneten. Man muß eben nach meiner Ansicht die Voraussetzungen von Schwingungen ganz fallen lassen, vielleicht kann ich später einmal mehr schreiben. Inzwischen verbleibe ich mit freundschaftlicher Hochachtung Ihr ergebenster
Otto Schlick.
Bei Silvana liegt der Schwerpunkt des Kreisels genau in der Pendelachse wie das auch aus der Figur hervorgeht. Das aufrichtende Übergewicht liegt also nur im Rahmen.
O.S.
*Das Dreieck (es ist für kleine Werte [??] Druck) A repräsentirt die sogenannte "dynamische Stabilität" des Schiffes.