München, 24. III. 13.

Leopoldstr. 87.

Lieber Herr Geheimrat!

Meine Correctur ist endlich abgeschickt. Ich habe von Ihrer Annalenarbeit nichts gesagt, da mir schien, dass es Ihnen so lieber ist. Ein paar als solche gekennzeichnete "Zusätze bei der Correktur" beziehen sich auf einige inzwischen in Zürich (Schweizer Naturf. Ges.) mitgeteilten Resultate von Paschen u. Fortrat. Von meinen ursprünglich in Aussicht genommenen Zusätzen habe ich dabei nur die angestrichenenen Stellen ||| aufgenommen.

Mit Ihren Bemerkungen $\alpha$) ... bin ich völlig einverstanden, also insbesondere damit, dass die Einfachheit bei mir nur dadurch erreicht wird, dass die grössere Hälfte des Problems bei Seite gelassen wird. Andererseits werden sie mir zugeben, dass die Koppelungshypothese eigentlich keine Erklärung für das regelmässige Auftreten des Paschen-Back-Effektes enthält* Es könnte ja bei anderer Wahl der Parameter auch ganz anders sein! Die Polarisation ist nicht ursächlich sondern künstlich mit der normalen Aufspaltung verknüpft und die Bedingung $\nu r \gg d$ ist bis auf eine Constante unbestimmt, während meine Bedingung $h \gg \Delta n$ auch dem Zahlenwert nach durch die Beobachtungen von Fortrat bei den Na-Linien bestätigt zu werden scheint. (NB. Ich habe nicht übersehen, dass der Koppelungscoeff. r dem Magnetfelde proportional ist; aber dass er gerade /2/ gleich g gesetzt wird, ist jedenfalls nicht einleuchtend und notwendig.) Der Faktor 1/2 bei den Seitencomponenten steht auch bei mir ($\varrho _1$ oder $\varrho _3 $ ist = $\frac{1}{2} (( n^2_1 - n^2 ) \cos^2\alpha + \ldots)$ während $\varrho _2 = ( n^2_1 - n^2 ) \cos ^2 \alpha + \ldots$ ist; bei Fig. 2 ist dies ausdrücklich bemerkt; ich habe bei der Correktur dies auch im Text deutlicher hervorgehoben; wo sonst "von gleicher Grösse" stand, habe ich "von gleicher resp. halber Grösse" geschrieben). Dass die Linienbreite bei der Mittelcomponente nach meinen Formeln mit wachsendem Felde nicht abnimmt, (was sie tatsächlich tut) ist für mich der unangenehmste Einwand gegen meine Auffaßung. //Wenn man einen Grund hierfür hätte, würde die Discrepanz mit der Seitencompon// Der Einwand dass bei mir die Seitencomponenten schmäler sind wie die Mittelcomponente, scheint mir weniger schwer zu wiegen - wenn man einen Grund für die Verschärfung der Mittelcomponente hätte, der nicht zugleich für die Seitencomponenten wirksam wäre, so wäre diese Discrepanz gehoben. Andererseits habe ich auf die Erklärung der complicirten Zeeman-Effekte garnicht gerechnet. Übrigens ist die Linienverbreiterung vor dem Normalwerden des Triplets wohl ein charakteristisches Merkmal des Paschen-Effektes. Meine Auffaßung giebt davon zu viel, die Ihrige zu wenig (soviel ich sehe bleiben Ihre Linien durchweg scharf). Ich schicke meine Niederschrift nur deshalb noch einmal mit, um markiren zu können, was ich davon in den Zusätzen benutzte. Da ich keine weitere Verwendung dafür habe, bitte ich, sie zu vernichten.

Was Ihr Ms. angeht, so ist mir dieses auf 1700m Höhe nachgeschickt und hat, da ich inzwischen von dort fort war, einige Schicksale gehabt, die sich in teilweise verwischter Tinte dokumentiren. Ich bitte /3/ hierfür sehr um Entschuldigung und will nur hoffen, dass nichts verloren ist!

Sachlich bin ich mit Ihren Einwendungen gegen mein Modell natürlich völlig einverstanden. Es war gewiss nicht meine Absicht, eine umfassende Theorie des Zeeman-Effektes zu geben. Solange wir keine Theorie der Spektrallinien haben, wird auch jede Theorie der Magnetooptik Stückwerk bleiben. Meine ist das besonders, da sie nur die Hauptzüge bei grossen Feldern und engen Abständen behandelt (und auch in dieser Beschränkung die allmählich zunehmende Verschärfung d. Linien nicht liefert). Im Einzelnen: $\alpha$) "gegen seinen Standpunkt" klingt freundlicher wie "gegen diesen Versuch". $\beta$) Vielleicht hier die Einschaltung "worauf H. Sommerfeld in einem Briefe Wert legte" ... Ich habe einen jüngeren Collegen, der die Mittel dazu in der Hand hat, gebeten, die entsprechenden Verhältnisse bei anderen Dublets u. Triplets zu untersuchen. $\gamma$) Zu diesem Einwand gegen die allgemeine Erklärung von Paschen-Back durch die Koppelungshypothese kommt wohl noch der betr. die Polarisation und die Linienverbreiterung. Im Ganzen halte ich es für sehr richtig und zweckmässig, dass von Ihnen der allgemeine Standpunkt der Theorie dargelegt wird, und mein sehr einseitiger, allein auf P[aschen]-B[ack] zugeschnittener Standpunkt kritisirt wird. Ich hoffe, dass mein einseitiger Standpunkt doch /4/ nicht ganz nutzlos und unfruchtbar bleiben wird sondern dass er in der Aufstellung bestimmter zahlenmässiger Behauptungen für die experimentelle Entwicklung gewisse (zu bestätigende oder zu widerlegende) Anhaltspunkte geben kann. Vor allem aber lassen Sie mich hoffen, dass mein (ziemlich dilettantischer und gelegentlicher) Excurs in den Zeeman-Effekt auch nicht die leiseste Verstimmung bei Ihnen zurücklässt. Ihr letzter Brief, der mich in dieser Hinsicht sehr erfreut und beruhigt hat, giebt mir die Gewähr dafür. Da ich durchaus nichts gegen Ihre Darlegungen einwenden kann, werde ich vorläufig sicher nicht das Wort dazu ergreifen. Erst wenn neue Tatsachen vorliegen, könnte dieses eintreten. Dabei würde ich, wie in den eingesandten Zusätzen, keinen Zweifel darüber lassen, dass ich mein Gelegenheitsprodukt auch nicht in die entfernteste Parallele gegen Ihre allgemeine Theorie stellen möchte. Die Schönheit Ihrer allgemeinen Methode ist mir in diesem Winter recht klar geworden, als ich den Faraday-Effekt ganz im Anschluß an Ihr Buch in einer Vorlesung über Optik vortrug.

Vielleicht giebt der Gascongress die nötige Zeit her, dass ich Sie noch über einige Punkte Ihrer Theorie fragen kann, die mir noch nicht ganz klar sind - Einstellung im Magnetfelde, Koppelung zwischen Elektronen verschiedener Frequenz. Hoffentlich giebt er mir auch Gelegenheit, mich zu überzeugen, dass Sie mir Ihr so oft bewährtes Wohlwollen ungeschmälert erhalten haben!!

Immer Ihr A. Sommerfeld.

*an dessen Allgemeingültigkeit Sie daher auch consequenter Weise zweifeln.