Aachen 14. XI. [1900]
Lieber Runge!
Ich habe soeben einen Fonds für eine mechanische Sammlung zu unserem nächsten Etat beantragt, für erste Anschaffungen 500M., für laufende Ausgaben 200M. Bei der näheren Begründung müsste ich die anzuschaffenden Vorlesungsapparate etwas näher specialisiren. Sie erwähnten kürzlich einmal, dass es Demonstrationsapparate zur Biegung des Stabes zu kaufen giebt. Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir sagen könnten, wo. Ich würde mir dann die betr. Kataloge kommen laßen. Ich empfinde mehr und mehr das Missliche, die Mechanik ohne den zugehörigen Anschauungsun/2/terricht vorzutragen. Apparate zur Stabbiegung müssten natürlich mit Spiegelablesung sein. Ferner braucht man einen Apparat zur Knickungsformel, ferner einen zur Demonstration einer freien Axe. Auch die seitliche Ausbiegung des Stabes im Falle die Ebene des Biegungsmomentes keine Hauptaxe trifft, müsste man mit Spiegeldrehung nachweisen. Dazu kommen Apparate zur Hydraulik. Der Wunschzettel ist gross. Soll man alles nach eigenen Angaben machen lassen, so wird es zu teuer und zeitraubend. Andrerseits stehe ich Ihnen später mit meinen etwaigen Erfahrungen gern zu Diensten.
Ich habe gerade in letzter Zeit den Eindruck, dass sich die Techniker mehr und mehr mit meiner Existenz /3/ befreunden. Ich bemühe mich allerdings auch redlich, mich technisch zu acclimatisiren.
Sie haben ja auch die interessante Discussion Wind c[ontr]a. Quincke gehört, über die optische Täuschung, die durch die folgenden Figuren dargestellt wird.
[Skizze]
Sie können die Erscheinung sehr leicht nachmachen, mit jeder ausgedehnten Lichtquelle, am besten mit zwei parallelen Spalten u. einem Projectionsschirm. Einen objectiven Beweis der subjectiven Natur der hellen Streifen $SS$ hat ein H. Dr. Drecker, Teilnehmer an unserm phys. Colloqu.[ium], dadurch erbracht, dass er während der Expositionszeit den einen Spalt er/4/weiterte, so dass die wirkliche Intensitätsverteilung bei genau parallelem Licht die der Fig. 1 war; die scheinbare Wirkung auf der photogr. Platte war wieder genau die der Fig. 2.
Wind sagte mir, dass auch bei Spectraluntersuchungen im Falle von Bandenspectren leicht solche Täuschungen vorkommen können. Sollten vielleicht die Doppellinien der Spectren || in Wirklichkeit nicht dieser [Skizze] sondern dieser [Skizze] Intensitätsverteilung entsprechen?!? Die Marskanäle gehören sicher dahin! Die Täuschung ist so verblüffend, dass einige meiner Collegen noch nicht überzeugt sind.
Für Ihr freundl. Intereße an meiner dilettantischen Hydraulik danke ich Ihnen sehr. Ich schicke Ihnen zugleich mit meiner Röntgenbeugung die Institution Vorträge von Reynolds mit. Ich bitte Sie, diese letzteren in aller Muße zu lesen, mir sie dann aber zurückzuschicken, da ich sie direkt von Reynolds habe u. sie sonst schwer erhältlich sind. Mit vielen Grüßen
Ihr A. Sommerfeld.