Königsberg 27. III. [1901]
Lieber Runge!
Nehmen Sie aus den Polarregionen Königsbergs (6°- heute nacht und dauernder Schnee) schönen Gruß und nochmals herzlichen Dank für die angenehmen und interessanten Stunden in Hannover, die mir Ihre Freundlichkeit und Gastfreundschaft bereitet hat. Ich habe Sie auch noch versehentlich für Beherbergung meines Koffers aufkommen laßen, will aber nicht erst versuchen, diese Schuld abzu/2/tragen, sondern schliesse sie in ein allgemeines "Schön Dank" ein.
Ich habe mir als Reiselektüre unter Anderem L. Prandtl: Kipperscheinungen, Nürnberg, v. Ebnersche Buchhandlung, Dissertat. München 1899 mitgenommen. Bei der Lektüre ist mir eingefallen, dass, wenn Sie für Mechanik einen Ingenieur suchen, dieser ein geeigneter Professoratscandidat wäre. Er hat die Kenntnis instabiler elastischer Gleichgewichts/3/zustände um einen wichtigen Fall bereichert u. hat, wie aus der Arbeit hervorgeht u. was mir wichtig erscheint, weitere Problemstellungen u. allgemeine Interessen. Ob alles in der Diss. richtig ist, kann ich nicht sagen; darauf käme es aber auch nicht so an. Pr.[andtl] ist Föppl'sche Schule, augenblicklich bei Riepel in der Nürnberger Maschinenbaugesellschaft. Er ist wohl noch sehr jung, aber sicher ein ganz anderes Kaliber wie /4/ Leist. Nähere Auskunft müsste Föppl erteilen. Ich selbst kenne nur das Gedruckte von ihm. Ich denke mir, es könnte Ihrer Abth. erwünscht sein, die Abth. III ev. auch mit Vorschlägen von Ingenieuren zu übertrumpfen. Jedenfalls handelt es sich bei Pr.[andtl] um einen wissenschaftlichen, mathem. u. physik. gebildeten Mann. Sie werden hoffentlich diesen unerbetenen Rat nicht anders auffassen, als er gemeint ist. Thun Sie "ihn" ruhig in den Papierkorb, wenn er Ihnen nicht passt.- Auf Ihr Maaß und Meßen freue ich mich schon im Voraus. Bis zur Hamburger Versammlung sind Sie ja jedenfalls fertig.
Mit vielen Empfehlungen an Ihre Gattin
Ihr A. Sommerfeld.