München, den 10. X. 07.

Lieber Runge!

Ich soll in diesem Monat die Artikel von Wangerin u. Willy Wien über Optik bekommen, die dann sogleich gesetzt werden sollen. Also wird auch Ihr Art. über Spektralanalyse bald fällig, ich meine bis //spätestens// etwa nächsten Ostern. Wird das möglich sein?

Dieser wird sich an den 2. Art. von Wien, Theorie der Strahlung etc, anschließen. Wir müssen uns wohl vor Allem über die Abgrenzung gegen Wien verständigen.

Sicherlich gehören in Ihren Beitrag die Seriengesetze (Rydberg, Runge, auch Ritz), die Regelmässigkeiten in den Doppellinien, auch Einiges Speciellere über den Zeeman u. Stark-Effekt (das Allgemeine darüber wird durch einen besonderen Beitrag von Lorentz bearbeitet), ferner Allerlei Numerisches.

Sie sprachen auch von der Theorie des Rowland'schen Gitters. Eigentlich gehört es ja nicht in diesen Art., sondern in den speciellen Beugungsart., Nr. 25. Da Sie aber sicher mehr darüber zu sagen haben wie der Verf. des Art 25, Laue, so /2/ hätte ich auch nichts dagegen, das Gitter zu Ihnen zu nehmen. Wollen Sie darüber befinden!

Wie aber steht es mit einer allgemeinen Theorie der Spektrall.[inien]? Da soll es ein Buch von Garballo geben. Viel wird ja wohl darüber nicht zu machen sein. Es scheint mir aber, dass in der Enc. alle Ansätze, auch die mislungenen - und das sind ja wohl alle - ausführlich discutirt werden sollten, abgesehen natürlich von den mathematisch-falschen, wie die meines Freundes Lindemann. Z.B. Betrachtungen über Summationslinien (Korteweg, Julius), auch die freien Elektronenschwingungen (Herglotz, Sommerfeld, P. Hertz). Wollen Sie das alles und Vieles Andere übernehmen, und recht ausführlich darstellen, so dass die künftigen Bearbeiter d. Problems es leichter haben als die gegenwärtigen.

Wie steht es ferner mit dem Atommodell à la J.J. Thomson (versinnlicht durch die schwimmenden Mayer'schen Magnete, vgl. Electricity and Matter von J. J. Thomson). Es wird darüber jetzt viel gearbeitet, z.B. von Schott im Philos. Magazine. Wenn Ihnen dieses zu fern liegt, könnte auch W. Wien das Atommodell übernehmen; aber die besonderen spektralanalyt. Folgerungen, sofern solche schon vorhanden sind, gehören doch wohl zu Ihnen. Bitte schreiben Sie mir doch bald Ihre Meinung hierüber. Wien kommt Ende des Monats her, dann /3/ müssen diese Fragen entschieden werden.

Und wenn Sie einmal die Feder oder Schreibmaschine zur Hand nehmen, so sagen Sie mir doch auch Ihre Meinung über die hochinteressante Goldstein'sche Entdeckung der "Grundspektren". Ich habe vergeblich versucht, sie mit Ritz in Zusammenhang zu bringen, als Nebenspektren höherer Ordnung. Ist das denkbar? Fredenhagen steht wohl ungefähr auf demselben Brett. Und wie ist es mit Wood? Es scheint mir, dass alle drei in Ihren Art. gehören, wenn sich auch zur Zeit noch nicht viel darüber sagen lässt.

Ich verstehe wohl, dass der Zeitpunkt zur Abfaßung eines zusammenfassenden klaßischen Artikels über Spektralanalyse nicht günstig ist, da mir auch hier wie in anderen Teilen der Physik die Grundvesten zu wanken scheinen. Aber was hilft's? Höchstens könnten wir, wenn Ihnen diese Entdeckungen wirklich sehr bedeutsam und umstürzend erscheinen, Ihren Artikel bis hinter Nr. 25 vertagen, in welchem Falle Sie noch 1-2 Jahre Zeit hätten. Ich würde dies aber nur als Auskunft in der Not ansehen, falls Sie wirklich eine Theorie der Spektrall. /4/ jetzt zu schreiben ausser Stande sind.

Kommen Sie vielleicht in den Weihnachtsferien hierher, d.h. in's Gebirge, zum Skylaufen??

Voigt sagte mir in Dresden, dass Sie auch über einen Fehler bei Lindemann vorgetragen hätten. Welches war der? Da ich Lindemann nochmals antworten muß, so könnte mir Ihr Fund von Nutzen sein. Einer allein kann L.'s Mathematik nämlich nicht verstehn, es gehören mehrere dazu.

Herzlich
Ihr A. Sommerfeld

Lieber Sommerfeld,

es ist recht gut, daß der von mir übernommene Articel über Spectralanalyse nunmehr anfängt, mir auf den Nägeln zu brennen. Ich habe mir noch nichts davon überlegt und gar keine Vorarbeiten gemacht; denn wenn es nicht drängt, pflegt man dergleichen auf die lange Bank zu schieben. Ich hoffe in den Weihnachtsferien eine Arbeit, die ich für Teubner übernommen habe (die Vorlesung, die ich in Hannover über analytische Geometrie gehalten habe) fertig zu machen. Das Manuscript ist beinahe fertig, und dann kann ich an die Spectralanalyse gehen; das Licht in seiner Schwingung zu zerschlagen. Da Sie einen bes. Artikel über Beugung haben, so kann ich mir die Gittertheorie schenken. Sobald Wiens Artikel in Fahne steht, sind Sie wohl so gut ihn mir zu schicken.

Ich weiss nicht, was Sie an Goldsteins Grundspectren so bemerkenswert finden. Man weiss seit langem, dass man bei vielen Elementen ein anderes Spectrum bekommt, wenn man starke Flaschenentladung betrachtet. Das hat er nun auch bei den Alkalien gefunden. Oder ist mir etwas entgangen, was seiner Entdeckung eine fundamentale Bedeutung zukommt?

Was den Fehler betrifft, den ich in Lindemanns Abhandlung (Erster Teil: die translatorische Bewegung) gefunden habe, so bezieht er sich nur darauf, dass die Gleichung Seite 295 unten $39 - 30x - 7 x^2 = 0$ zwei reale Wurzeln hat und nicht wie Lindemann angiebt zwei imaginäre. Sein Schluss, dass die Kraft demnach andauernd negativ ist, ist daher falsch. Sie kann auch positiv sein. Ich schrieb ihm darüber, und er erklärte die Folgerung, dass die Kraft andauernd negativ sei, für ein Versehen. An dem Ganzen ändert das garnichts, sagt er. "Statt dass Energie ausstrahlt, strahlt dann eben Energie aus dem Unendlichen ein". Ich habe ihm geantwortet, dass sich mir dabei meine physikalischen Haare sträuben.-

Ihr