Charlottenburg 2, den 15. Juli 1912.

Hochverehrter Herr Kollege!

Ich weiss nicht, ob Sie sich meiner von der Naturforscherversammlung in Hamburg her noch erinnern. Ich war zu jener Zeit Oberingenieur der Hamburg-Amerika-Linie, wurde einige Jahre darauf technischer Direktor einer Maschinenfabrik und Schiffswerft und bin seit zwei Jahren hier in Charlottenburg als dritter Lehrer für Schiffsmaschinenbau.

Indem ich mich so auf die Stunden unseres Hamburger Zusammenseins und die in den darauf folgenden Jahren geführte Korrespondenz berufe, erlaube ich mir, mich Ihnen in einer mir sehr am Herzen liegenden Angelegenheit zu nähern.

In unserer Abteilung Schiffsmaschinenbau haben wir bisher keinen eigentlichen systematischen Unterricht der Mechanik gehabt. Der Mechanikunterricht ist überhaupt in der Technischen Hochschule in Charlottenburg meiner persönlichen Meinung nach nicht auf der Stelle stehend, auf welche er stehen sollte. Ich weise dem Unterricht in der Mechanik in den ersten 4 Semestern den ersten Platz /2/ unter allen Unterrichtsgegenständen zu und bin der Ansicht, dass von ihm allein die Zukunft des Ingenieurs abhängig ist. Die Abteilung hat nun beschlossen, und der Senat hat der Weitergabe an das Ministerium zugestimmt, in unserer Abteilung ein Ordinariat für Mechanik einzurichten, welches insbesondere auch die hydrodynamischen und aerodynamischen Probleme fördern soll. Ich bin mir wohl bewusst, dass ein Ordinarius unserer kleinen Abteilung zu sein nicht das bedeutet, was der Stellung eines Ordinarius der philosophischen Fakultät der Universität München bedeutet. Trotzdem wage ich im Interesse der wissenschaftlichen Entwicklung unserer Schiffsbautechniker die ergebene Anfrage an Sie zu richten, ob Sie bereit wären, diese so fühlbare Lücke in unserem Unterricht auszufüllen, und unserem Schiffbau das zu geben, was ihm nottut, die wissenschaftliche Durcharbeitung seiner Probleme. Ich habe neulich nach der Senatssitzung in kleinerem Kreise Ihren Namen genannt und dabei bin ich derartig begeisterter Zustimmung begegnet, dass ich überzeugt bin, dass auch ausserhalb unserer Abteilung die Technische Hochschule Charlottenburg stolz sein würde, Sie unter den Mitarbeitern zu zählen. Ich darf vorläufig diese Frage nur privat an Sie richten, da das Ordinariat ja noch garnicht im Ministerium genehmigt ist. Wir hoffen aber bestimmt, dass das Ministerium das Unhaltbare des jetzigen Zustandes erkennt und unserem /3/ Vorschlage zustimmen wird. Indem ich mich dem Glauben an meinen guten Stern auch in diesem Falle überlasse, begrüsse ich Sie

mit aller Hochachtung und kollegialem Gruss
als Ihr sehr ergebener
Gümbel