München, den 9. Februar 1925.
Lieber Professor Millikan!
Ich habe mich sehr gefreut Ihren liebenswürdigen Brief zu erhalten und danke Ihnen verbindlichst für ihr schönes Buch über die Elektronen. In der Grundfrage über die Struktur des Lichtes fühle ich ganz wie Sie (man muss wohl eher sagen "fühlen als denken"). Es scheint mir fast unmöglich den Comptoneffekt anders zu deuten als mit den extremen Lichtquanten. Der Kompromisstandpunkt, den Bohr, Kramers und Slater einnehmen will mir garnicht gefallen. Es hat mich sehr interessiert aus Ihrem Buch zu lernen, dass Herr Becker, den ich ja persönlich kennen gelernt habe, einen neuen Fortschritt im Nachweis des Comptoneffektes erzielt hat.
Ich habe in diesem Semester ausführlich über Ihre und Bowens Arbeit im Ultraviolett vorgetragen. Es ist wirklich erstaunlich, wie Sie die Spektroskopie erweitert haben. Besonders überraschend ist Ihre Ausdehnung des Gesetzes der "irregulären Dubletts" auf die optischen Terme. Den schlimmen Widerspruch in der Deutung der Quantenzahlen, den Sie und Bowen im Phys. Rev. hervorheben, gebe ich vollkommen zu und kann ihn vorläufig nicht auflösen, aber ich hoffe, dass Dr. Wentzel bald zur Klärung beitragen wird. Er hat bereits die Abschirmungszahlen der "regulären und irregulären Dubletts" (vergl. pg. 452 und 459 meines Buches, 4. Aufl.) abgeleitet mit der einfachen Vorstellung von Kugelschalen und eindringenden Bahnen.
Schade, dass Sie bei Ihrer Europareise München nicht berühren konnten.
Mit den besten Grüssen und Wünschen für den weiteren Erfolg Ihrer wundervollen Arbeit
Ihr ergebener
[Arnold Sommerfeld]