München, den 26. Januar 1926.
Lieber Herr Ornstein!
Es ist sehr freundlich, dass Sie bei Ihrer Assistentenstelle an meine Schüler denken. Die Stelle ist allerdings mit 1000 Fl. pro Jahr sehr schlecht bezahlt, so dass der Inhaber aus eigener Tasche erheblich zusetzen müsste. Leider ist das heutzutage den meisten Deutschen unmöglich. Vielleicht hat Bechert als Rockefellerstipendiat in Madrid sich etwas zurückgelegt und könnte ihre Assistenz im Oktober übernehmen. Sie wissen ja, dass er in theoretischer Hinsicht als mehrjähriger Mitarbeiter von Catalan einer der besten Kenner der Multipletts ist. Ich werde ihn in den nächten Tagen von Ihrem freundlichen Angebot unterrichten. Ein anderer sehr begabter Schüler, Heitler, (besonders thermodynamisch statistisch tätig, aber auch experimentell interessiert) könnte vielleicht im Sommer zu Ihnen kommen, würde aber aus pekuniären Gründen nur ein halbes Jahr bleiben können. Bestimmtes kann ich auch über Heitler nicht sagen, weil er noch eine andere für ihn günstigere Stelle in Aussicht hat. Ich nehme natürlich nicht an dass Sie auf einen dieser beiden Kandidaten warten, falls Sie einen anderen geeigneten Mann zur Verfügung haben.
Hönl muß vorläufig leider aus Gesundheitsrücksichten darauf verzichten sich um das Rockefellerstipendium für Utrecht zu bewerben. Wahrscheinlich kommen wir später darauf zurück.
Mit Niessen habe ich einige Schwierigkeit, persönlich ist er mir sehr sympathisch, aber wissenschaftlich ist er furchtbar einseitig. Für Alles, was wir hier im Seminar und Colloquium besprechen, interessiert er sich eigentlich nicht. Die Arbeit, die ich ihm gegeben habe, betrachtet er eigentlich auch nur von der mathematischen Seite, ohne sich viel um die ausserordentlich wichtige physikalische und chemische Bedeutung* zu kümmern. Rechnerisch ist er ja äusserst /2/ gewandt, aber mehr nach der elementaren Seite; Funktionentheorie z.B. liegt ihm fern. Ich tue für ihn, was ich kann, aber ich bin noch nicht sicher dass bei seiner Arbeit viel herauskommen wird.
Dass Sie das Hg-Triplett in Ordnung gebracht haben ist wunderschön. Dabei dringt sich mir folgende Frage auf:
Verhält sich Hg wie Ca, so dass die Quantengewichte das einzelne Multiplett (in unserem Falle 2p 2s) für sich bestimmen.
Oder verhält es sich wie Ne, wo die Summenregeln nur auf die Gesamtheit der Linien von gleichem j bezogen werden können?
Wegen der großen Aufspaltung von Hg könnte man vermuten, dass das Letztere der Fall ist, dann käme zu 2p 2s noch hinzu:
2P 2S, 2P 2s und 2p 2S.
Es wäre recht schön, wenn Sie die Intensitäten dieser Linien besonders die vermutlich stärkste von ihnen 2P 2S ebenfalls bestimmen könnten und feststellen würden, ob die Summenregeln merklich verletzt werden, wenn die Intensitäten dieser Linien nach dem Vorbilde von Ne mit den Intensitäten des Tripletts vereinigt werden.
Hinsichtlich des Fe-Multipletts von Milaan möchte ich darauf aufmerksam machen, dass der f-Term typisch metastabil ist, vergl. das Niveauschema in meinem Buch, 4. Auflage, S. 700. Ich bin überzeugt, dass hierin nicht nur die starke Selbstumkehr des Multipletts, sondern auch die Abweichung von unseren Intensitätsformeln beruht. Ich nehme also an, dass unsere Formeln für alle Multipletts stimmen werden, die keinen metastabilen Kern enthalten. Eine Intensitätsanomalie beim H-Dublett habe ich auf dieselbe Weise erklären können.
Es ist mir leider ganz unmöglich Mitte Februar zu Ihrer Insitutseinweihung zu kommen. Ich fahre den letzten Februar oder Anfang März nach England und habe bis dahin viel zu tun.
Mit den besten Grüßen an Sie und Ihr ganzes Institut
Ihr ergebenster [Arnold Sommerfeld]
*Es handelt sich um das Problem der nichtpolaren Bindungen in Kristallen!