München, den 13. Januar 1926.

Lieber Wentzel!

Besten Dank für Ihren Brief vom Dezember und für die Kontrolle der Unsöld'schen Arbeit. Neunhöfers Resultate behagen mir garnicht; sein Integral über den Kernabstand divergiert und die Verschiebung des Maximums kommt verkehrt heraus. Er soll Ihnen die Rechnung ordentlich aufschreiben. Ich hoffe, dass Sie darin Fehler entdecken werden und danke Ihnen im Voraus für Ihre Hilfe.

Hoffentlich konnten Sie inzwischen die Verkehrtheit mit den S und s-Bahnen klären.

Auch ich glaube, dass man restlos zu Heisenbergs neuer Mechanik übergehen muss. Ob man nicht von dem ursprünglichen Fourieransatz loskommen kann? Und ob man nicht generell die Grenzen feststellen kann, in denen die neue Mechanik mit der alten übereinstimmt?

An Pauli schreibe ich demnächst, sagen Sie ihm bitte herzlichen Dank für Manuskript und Brief. Leider hat weder er noch Sie etwas geschrieben über den Punkt, den ich ja am meisten vermisste: eine nicht zu komplizierte Anwendung des Pauli'schen Eindeutigkeitsprinzips auf schwierige Fälle, womöglich mit eindeutiger Zuordnung der Terme zu den magnetischen Quantenzahlen. Wenn Sie derartiges aus Pauli extrahieren können, schreiben Sie mir wohl selbst.

Das axiale Elektron von Goudsmit ist ja sehr verrückt, aber egentlich ist es die einfachste modellmässige Uebersetzung der Tatsache, dass jedes Elektron sein s = 1/2 hat (in unserer neuen Bezeichnung).

Herzfeld hat seinen Vater verloren und ist augenblicklich in Wien. Im Seminar wird immer recht gut vorgetragen.

Ich komme Anfang April aus England zurück und Mitte April nach München. Es wird mir lieb sein, wenn Sie um diese Zeit ebenfalls nach München kommen

/2/ Amerika entfaltet in den letzten Jahren eine ausgedehnte und sorgsame Tätigkeit auf dem Gebiet zusammenfassender Berichterstattung über brennende Frage der Physik und Chemie. Eine der brennensten ist die des Magnetismus. Die alte phänomenologische Theorie (vergl. das 1. der vorstehend genannten Referate) genügt den heutigen Ansprüchen an wissenschaftliche Erkenntnis nicht mehr. Auch die statistische Theorie von Langevin und seiner Nachfolger (vergl. das 2. Referat) spricht nicht das letzte Wort, da sie das Grundelement, den Elementarmagneten des paramagnetischen Moleküls, unerörtert lässt. Das grösste Interesse hat seit je der Ferromagnetismus mit seiner ausserordentlichen Steigerung der magnetischen Wirkungen erregt (vergl. das 3. Referat), die wir heutzutage als Ausfluss der Kristallstruktur erkennen, hervorgerufen durch gegenseitige Beeinflussung (Gleichrichtung) der atomistischen Bausteine des Kristalls. Aber das eigentliche physikalische Problem ist doch das Problem des Magnetons (vergl. das 4. Referat). Der Berichterstatter J. Kunz ist als früherer Mitarbeiter von P. Weiss besonders orientiert, auch in den neueren Entwicklungen, die den Standpunkt von Weiss überholt haben. Dass die Quantentheorie bei der Frage nach dem Magneton ins Spiel kommt, ist für den Kenner der Modernen physikalischen Entwicklung nicht überraschend. In der Tat laufen ja alle atomistischen Grunderscheinungen schliesslich auf Fragen der Quantentheorie hinaus. Die kräftigste Stütze der quantentheoretischen Auffassung des Magnetons konnte in den Bericht nicht mehr aufgenommen werden: F. Hund berechnet a priori aus quantentheoretisch-spektroskopische Regeln die Magnetonzahlen der Jonen der seltenen Erden und findet dabei eine fast vollständige Übereinstimmung mit den Messungen von Stephan Meyer und Cabrera, womit endgültig bewiesen sein dürfte, dass der Grund des Magnetons nicht in der Hypothese von Weiss, sondern in der Quantentheorie zu suchen ist.

/3/ Ein Problem von besonderem Interesse behandelt der Bericht von S.I. Barnett. Bekanntlich hat dieser (im Zusammenarbeiten mit seiner Gattin) durch eine meisterhafte, jahrzehntelang verfeinerte Untersuchung[s]reihe die Magnetisierung ferromagnetischer Stäbe durch Rotation nachgewiesen. Das Ergebnis war von der Erwartung der klassischen Theorie um den Faktor 2 verschieden (Magnetomechanische Anomalie). Es sei dem Referenten gestattet, bei dieser Gelegenheit festzustellen, dass die Barnett'schen Versuche - im Gegensatz zu der Darstellung, welche in dem Lehrbuch "Atombau & Spektrallinien" 4. Auflage, S. 636 gegeben wurde - den bekannten Versuchen von Einstein-te Haas zeitlich vorangingen und an Zuverlässigkeit überlegen waren.-

Der Inhalt des ganzen Berichtes ist so reichhaltig und gediegen, dass eine Uebersetzung ins Deutsche zu begrüssen ist. Die amerikanischen Berichterstatter haben ihre ursprünglichen Referate durch Zusätze über die inzwischen gewonnenen Fortschritte ergänzt. Dass die Uebersetzung sachgemäss ausgefallen ist, dafür bürgt der Name des Uebersetzers. Gelegentlich aber hätten wir etwas mehr Rücksicht auf den Geist der deutschen Sprache gewünscht. Einen Satz wie (vergl. S. 3.): "Poisson nahm an, dass die von einer Menge q des magnetischen Fluidums auf eine Menge q des Fluidums derselben Art, die sich in der Entfernung r von jener befindet, ausgeübte Abstossungskraft proportional zu ... unabhängig von der Substanz ist aus der der magnetisierte Körper zusammengesetzt ist". ein solcher Satz sollte in der deutschen Literatur, auch der naturwissenschaftlichen, verboten sein.

gez. A. Sommerfeld