München, den 3. Februar 1926.

Lieber Schrödinger!

Das ist ja furchtbar interessant, was Sie schreiben, in Abhandlung und Brief. Meine persönliche Meinung zur Ganzzahligkeitsmystik muss dabei schweigen, auch meine persönliche Bequemlichkeit: Ich war gerade dabei, für Vorträge in London (diesen März) ein Konzept zu machen, das aus der früheren Tonart blies. Da traf, wie ein Donnerschlag, Ihr Manuskript ein. Mein Eindruck ist dieser: Ihre Methode ist ein Ersatz der neuen Quantenmechanik von Heisenberg, Born, Dirac (R. Soc. Proc. 1925) und zwar ein vereinfachter, sozusagen eine analytische Resolvente des dort gestellten algebraischen Problems. Denn Ihre Resultate stimmen ganz mit jenen überein. Das Ergebnis über den Resonator erwähnt schon Heisenberg. Dieser sagte mir auch, dass er das $j (j+1)$ der Landé'schen Formeln ableiten kann. Dass dies jetzt mit dem uralten $n (n+1)$ der Kugelfunktionen zusammenhängen soll, geht über jede Hutschnur. Ebenso ergeben sich die halben Quanten des Rotators nach Heisenberg und Ihnen. Dass sie empirisch gefordert werden ist nach Kratzer ausser Zweifel, vgl. S. [712] meines Buches. Und nun der relativistische Wasserstoff! Gerade war ich dabei[,] die mitfolgende Arbeit, die Sie behalten und evtl. Debye zeigen können, an die Zeitsch. f. Physik abzuschicken. Sie sehen eine Quantennummerierung nach Art der Alkalien wird hier durch das Experiment gebieterisch gefordert. Pauli, der viel mit der neuen Quantenmechanik gerechnet hat (Starkeffekt, Balmerserie) hatte bei der Feinstruktur Schwierigkeiten. Auch er bekommt mein Manuskript und wird darauf hin vermutlich den Mut fassen, die Quantenbezifferung zu ändern. Vermutlich wird er dasselbe finden, wie Sie.

Natürlich übersehe ich mathematisch noch garnicht, wie das alles zusammenhängt, aber ich bin überzeugt, dass etwas ganz neues daraus werden wird, was die Widersprüche beseitigen kann, die uns jetzt sekieren.

/2/ Bis S. 13 bin ich ganz einverstanden, aber von da ab werde ich obstinat. Als physikalische Realität möchte ich Ihre Dinge vorläufig nicht gelten lassen. Das Kombinationsprinzip (oder die Einstein'sche Gleichung) ist mir heilig. Bei Ihnen kommt es nur dadurch zustande, dass sich im Differenzton das unbekannte C von S. 13 herausheben soll, das kommt mir ganz ungehörig vor, gegenüber einem so fundamentalen Naturgesetz. Sie versprechen zwar dies relativistisch auszubessern, bis dahin bin ich aber gegen die reale Schwingungsdeutung. Sind übrigens Ihre Schwingungen ungedämpft? Strahlen sie überhaupt nicht aus oder erhalten sie das ausgestrahlte ersetzt?

Eigentümlich ist die Verschiedenheit der Ausgangspunkte bei Gleichheit der Resultate zwischen Ihnen und Heisenberg. Heisenberg geht von der Erkenntnistheoretischen Forderung aus, nicht mehr in die Theorie hineinzustecken, als man beobachten kann. Sie stecken alle möglichen hochfr[e]quenten Vorgänge, Knotenlinien und Kugelfunktionen, hinein. Nachdem unser erkenntnistheoretisches Gewissen durch die Relativitätstheorie geschärft ist, kommt auch mir der viele unbeobachtbare Ballast in Ihrer Darstellung einstweilen bedenklich vor.

Nun noch ein paar Kleinigkeiten: Die Mitbewegung des Kerns macht für die mechanische Behandlung sicher nichts aus, das hat Darwin gezeigt (vgl. S. 421 meines Buches). Da ich Ihre Schwingungsbehandlung als eine Verbesserung der mechanischen ansehe, muss ich annehmen, dass auch bei Ihnen die Kernbewegung nebensächlich ist. Ich habe daher Ihre Bemerkung S. 12 gestrichen, wie Sie mir nahe legten.

Wenn Sie zu Gl. 14 die Analogie mit meiner Auswertung der Phasenintegrale hervorheben wollen, so wird das für manche Leser die Sache klären.

Besteht etwa da eine Analogie zwischen Ihrer Formulierung des /3/ Variationsprinzips und dem Ritz'schen schwingenden Rechteck, das ihn zur Ritzformel geführt hat?? Kein Mensch denkt mehr an diese abstruse Konstruktion, vielleicht aber bringen Sie sie wieder zu Ehren.

Schade wäre es, wenn das nachbarliche Innsbruck wissenschaftlich ausgeschaltet würde. Ich schrieb Ihnen wohl schon, dass ich mit Ihnen oder Smekal den bayerischen Gauverein der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zu einem bayerisch-tiroler Gauverein erweitern wollte.

Mit herzlichen Grüssen auch an Ihre liebe Frau

stets Ihr [A. Sommerfeld]