Zirmerhof, Südtirol 26. VIII. 34.

Lieber Einstein!

Wie lange ist es her, dass wir nichts direkt von einander gehört haben! Und was ist alles seitdem passirt! Zuletzt sahen wir uns 1930 in Caputh. Es scheint so, als ob der Taumel, in dem die Welt seit 1914 lebt, //jetzt seine schlimmsten Stadien durchläuft// immer weiter geht.

Ich schreibe diesen Brief aus Italien. Wenn ich ihn von Deutschland aus schriebe, würde er //wohl// kaum in Ihre Hände gelangen. Auch so werden Sie ihn verspätet erhalten, da Sie wohl gegenwärtig in Europa sind.

Leider kann ich meine Landsleute nicht entschuldigen angesichts all des Unrechts, das Ihnen und vielen anderen angetan worden ist; auch nicht meine Collegen von der Berliner und Münchener Akademie; Viel Schuld hat die politische Unreife//, Leichtgläubigkeit und Dummheit// des deutschen Volkes, //ebenso// viel Schuld auch die Politik unserer Kriegsgegner. //Übrigens kann ich Sie versichern, dass das nationale Gefühl, das bei mir stark ausgeprägt war, mir gründlich durch Misbrauch des Wortes National seitens unserer Machthaber abgewöhnt wird. Ich hätte jetzt nichts mehr /2/ dagegen, wenn Deutschland als Macht zugrunde ginge und in einem befriedeten Europa aufginge.//

Vielleicht interessirt es Sie, dass ich meine allgemeine Wintervorlesung über Elektrodynamik wie in früheren Jahren in's Vierdimensionale ausklingen lies und mit einer Einführung in die spec. Rel. Th. krönte. Die Studenten waren begeistert, nicht einer opponierte. Ebenso bei der Sommervorlesung über Optik, die ich mit Ihrer Optik bewegter Medien einleitete. Nicht ein einziges Mal ist die Nennung Ihres Namens beanstandet worden. Wollen Sie daraus entnehmen, dass der deutsche Student die geistige Tyrannei längst //verschmäht// überdrüssig, in die ihn eine kleine Gruppe von "Führern" einspannen möchte, und dass er sich nach der freien Luft des Geistes sehnt.

Wie frei mag die Luft jetzt in dem schönen Princeton wehen! Eigentlich haben Sie die Aufgabe, zusammen mit Weyl, den ich zu grüssen bitte, die allgemeine Rel. Th. noch zu einer neuen Höhe zu führen! In Einklang zu bringen mit den Bedürfnissen der Mikromechanik! Dass sie für die Mechanik des Kosmos die unentbehrliche Grundlage ist, bezweifelt heute kein Vernünftiger.

Dieser Brief bedarf keiner Antwort, zumal //er ja auch keinen eigentlichen Inhalt hat// da mich ein Brief von Ihnen in München doch nicht erreichen würde. Sollten Sie mir etwas zu sagen haben, so tun Sie es durch Condon, unter Vermeidung Ihres Namens. Übrigens werde ich vom 15ten bis 20ten Oktober in Genf sein, unter der unverfängl. Adr. Prof. J. Weigle, Faculté des Sciences, //als unverfängliche Correspondenz-Möglichkeit//. Ich würde sehr glücklich sein, wenn wir uns trotz allem einmal wieder sehen könnten! Ihr getreuer

A. Sommerfeld