München, den 25. Oktober 1919.
An das Comite zur Verwaltung des Carlsburgfonds.
Sehr geehrte Herren!
Professor Harald Bohr schreibt mir, dass sein Bruder, Professor Niels Bohr, sich um eine Unterstützung seines Institutes durch den grossen dänischen Carlsburgfond bewerbe, und meint, dass meine Fürsprache dabei von Einfluss sein könne. Ich nehme mir daher die Freiheit einige diesbezügliche Betrachtungen niederzuschreiben, welche dem Urteil der zuständigen Autoritäten nicht vorgreifen wollen, und nur dazu dienen sollen, das allgemeine Interesse der Wissenschaft an den Plänen von Professor Niels Bohr zu betonen.
Die Bohr'sche Theorie der Atome und Spektrallinien hat, seit ihrer ersten Veröffentlichung im Jahre 1913 die wissenschaftliche Welt in Atem gehalten. Das periodische System der Elemente ist erst durch diese Theorie verständlich geworden und das ungeheure Material der Spektroskopie, das in nunmehr 60 Jahren aufgesammelt wurde, kann erst jetzt wissenschaftlich ausgewertet werden. Ein besonderes Kennzeichen der Bohr'schen Theorie besteht darin, dass sie zu immer neuen Fragestellungen an das Experiment herausfordert. Wer könnte geeigneter sein, diese Fragestellungen einer sicheren Antwort entgegenzuführen als Herr Bohr selbst. Seine Leitung der Experimente wird die beste Art der Problemstellung und ihre wissenschaftliche Verwertung verbürgen. Es handelt sich dabei grossenteils um Präcisionsmessungen, die feinste Apparate und erhebliche Mittel erfordern[.] Bei der allgemeinen Teuerung kann es nicht ausbleiben, dass die von Professor Bohr ursprünglich geforderten Summen nicht mehr ausreichen[.] Ich bin überzeugt das Urteil aller Sachkundigen wiederzugeben, /2/ wenn ich dem gegenüber sage, dass die Probleme, die Professor Bohr behandelt, von umfassender und grundlegender Bedeutung für die physikalische und chemische Wissenschaft sind. Als Zeugen dafür möchte ich insbesondere Professor Arrhenius anführen. Er sagt im Schlusswort zu einem Vortragscyklus, den ich über die Bohr'sche Atomtheorie kürzlich in Stockholm gehalten habe, dass es sich hier zweifellos um die interes[s]antesten und fruchtbarsten Problemen der Naturwissenschaft handle. Uebrigens lässt Herr Arrhenius in seinem von der Nobelstiftung erbauten Institute zur Zeit Versuche anstellen, die ebenfalls aus der Bohr'schen Theorie hervorgegangen sind.
Ich möchte die Frage aber im Besonderen noch von einem zeitgeschichtlichen Gesichtspunkte aus betrachten. Durch die Kriegslasten und unerträglichen Friedensbedingungen ist es Deutschland, das bisher an seinen zahlreichen Universitäten und Hochschulen experimentelle Forschung mit reichen Mitteln gefördert hat, auf lange Zeit unmöglich gemacht, die Wissenschaft wie bisher zu pflegen. Zugleich mit Deutschland ist fast der ganze europäische Continent verarmt. Das glücklichere Dänemark kann hier in die Bresche treten. Es wird dies um so lieber tun, als es dabei zugleich sich selbst in dem Namen eines seiner hervorragendsten Söhne ehrt. Das Institut des Herrn Bohr sollte nicht nur dem dänischen wissenschaftlichen Nachwuchs dienen, es sollte eine internationale Arbeitsstätte auch für Talente des Auslandes werden, denen die eigene Heimat nicht mehr die go[l]dene Freiheit der wissenschaftlichen Arbeit gewähren kann. Wie früher im Wiener Radium Institut so mögen künftig Forscher aller Länder zu besonderen Studien in Kopenhagen sich treffen und im Bohr'schen Institut für Atomphysik gemeinsame Culturideale verfolgen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
[Arnold Sommerfeld]