München,
Leopoldstr. 87.
14. I. 19.
Lieber Herr College!
Für Ihren sehr liebenswürdigen Brief zu meinem 50. Geburtstag sage ich Ihnen herzlichen Dank. Ihre Mitteilungen darin waren sehr interessant, aber sehr traurig. Wenigstens scheinen Sie allen Widerwärtigkeiten gegenüber Ihren Wiener Humor nicht verloren zu haben.
Wir sehen die deutsche Zukunft Schwarz in Schwarz. Wie tief wir national gesunken sind, zeigt besonders die völlige Verständnislosigkeit, mit der unsere Regierungen und unsere Presse dem Anschluße Deutsch-Österreichs an Deutschland gegenüberstehen. Es ist so, als ob unser Unglück und unsere Revolutionsphrasen jedes Gefühl für Selbstachtung und Selbstvertrauen weggeblasen haben.
Rubinowicz hat mir zu meinem Geburtstag sehr lieb geschrieben. Einige vorangehende Briefe, die von seiner Arbeit in der Physikal. Ztschr. handelten, habe ich ihm auch nicht mehr beantworten können. Ich habe aber bezüglich der Correktur alles sorgsam erledigt. Er hat allen Grund, über den Abschluß dieser Arbeit froh zu sein. Sie ist die letzte wirklich erfreuliche Leistung aus meinem Kreise und für mich selbst eine ausserordentliche Klärung. Auch Ehrenfest schrieb kürzlich im gleichen Sinne. /2/ Der Standpunkt von Rubinowicz ist viel befriedigender, wie der von Bohr in seiner letzten Arbeit. Ich komme bald an Cap. VI meines Buches über Atombau u. Spektrallinien, wo ich Rubinowicz Ideen besonders liebevoll darstellen werde. Es wäre schön, wenn Sie R. von dem Vorstehenden irgendwie Kenntnis geben könnten.
Die Nachschrift der Klein'schen Vorlesung für R. liegt hier; ich schicke sie natürlich erst ab, wenn R. mir schreibt, dass es ratsam ist.
Seien Sie und die Wiener Collegen herzlich von mir gegrüsst! Von der Wiener Intelligenz habe ich eine geradezu erstaunliche Probe in dem jungen Pauli um mich, Sohn des Wiener medicinischen Chemikers. Ein erstes Semester! Seine Begabung geht selbst über die von Debye um ein Vielfaches hinaus.
Ihr aufrichtig ergebener
A. Sommerfeld.