München,
Dunantstr. 6
13. VII. 43
Lieber Freund Buchwald, liebe Frau Buchwald!
Ich bin wohlbehalten hier angekommen, erfüllt von Erinnerungen an gastfreundliche Aufnahme und tiefdringende Gespräche. Die Reise verlief planmässig. In Charlottenburg stand Ernst am Zuge. Vormittags gingen wir zusammen nach Telefunken. Glücklicherweise wurde ich von der schwerwiegenden Frage (U-boots Tarnung, von der auch in Jena die Rede war) entbunden; ich bekam nur ein harmloseres Problem, das im Wesentlichen mein Assistent behandeln kann. Von dort fuhr ich ohne Pause in die Berliner Akademie zu einer feierlichen Sitzung, bei der auch unser hoher Chef Rust zugegen war. Da die Sitzung sich sehr ausdehnte, war ich dem Schlaf näher als dem Wachen. Am Sonntag hatte ich eine Besprechung mit Planck u. Laue. Pl., wunderbar frisch, kam gerade von einer abermaligen Vortragsreise zurück, schien aber in betreff der Danziger Reise etwas skeptisch zu sein. Dann noch zwei Tage in Jena. Ich besuchte auch die mit 79 Jahren prachtvolle Ricarda Huch: Sie sehen, auch ich wage mich an literarische Namen heran. Als ich in München telephonisch ihrer Freundin Marianne Plehn von diesem Besuch berichtete, fragte sie mich, ob ich in Danzig auch einen Prof. Buchwald gesehen hätte!
Hier in M.[ünchen] ereilte mich eine alarmierende Nachricht von Vieweg: Ich soll nach Weisung des Ministeriums /2/ Nachdrucke von "Atombau" I u. II veranstalten; das bedeutet viel Arbeit für mich, die mir jetzt sehr in die Quere kommt.
Zu den beiden Sonderdrucken: die "indischen Reiseeindrücke" können Sie, wenn Sie irgend Wert darauf legen, behalten, da ich noch zwei Abdrucke habe. Die "deutsche Revue", S. 100, muß ich zurück erbitten. Sie werden, wie ich bei der abermaligen Lektüre sagen: Inhalt dürftig, Form gut.
Was hatte ich Ihnen sonst noch von Lesestoff versprochen? Ich glaube, wir sprachen von Frisch, "Zehn kleine Hausgenossen"; aber die sind leider verborgt. Oder von dem Briefwechsel Keller-Exner? Der stünde zur Verfügung!
An Kossel schreibe ich nächstens; die Hilbert-Ansprache geben Sie ihm wohl freundlichst.
Die 92,50M. sind angekommen; besten Dank!
Das Leben ist zu kurz, die Danziger Tage, in denen die Nehrungsträume nicht reiften, waren es auch!
Lassen Sie sich den Glauben an den Sinn des Lebens nicht rauben und fliehen Sie, wenn nötig, wie Budha in einen Wald der Betrachtung oder auf den Stengel einer Lotosblume.
Treulich und dankbar Ihr
A. Sommerfeld