München, 29. März 1902.

Hochgeehrter Herr College!

Leider komme ich erst jetzt dazu, Ihnen für Ihre freundliche Zuschrift vom 2. Febr. und die mir darin ertheilte Auskunft meinen Dank auszusprechen. Ich wußte gar nicht, daß Sie die graphische Statik nicht vorzutragen haben; sonst würde ich Sie mit meiner Anfrage nicht belästigt haben. Aus dem inzwischen im Druck erschienenen Referate des Herrn Heun, das von der mir s. Zt. zugegangenen Correctur auch sonst noch ziemlich abweicht, geht übrigens hervor, daß er bei der Bemerkung, wegen deren ich mich an Sie wandte, in der That an die von Ihnen erwähnte Cilleg'sche Arbeit gedacht hat. Ich konnte freilich um so weniger vermuthen, daß er diese meint, (Cilleg hat mir sie zugeschickt) als sie erst nach meinem Buche erschienen war. Auch sonst kann ich mich nicht davon überzeugen, daß Heun mit seinen Ein/2/wendungen glücklich gewesen sei. Was er über die Centrifugalkraft sagt, ist offenbar nicht richtig und seine Einwendungen hinsichtlich des d'Alembert'schen Princips nicht berechtigt. Ich leugne natürlich damit nicht, daß man die Sache so darstellen kann, wie er es haben will; aber meine Darstellung ist ebenso zulässig und [?], was er den Kern des d'Alemb. Princips nennt, erscheint bei mir als das Wechselwirkungsgesetz. Ebenso kann ich die Einwendungen hinsichtlich des Princips der virtuellen Geschwindigkeiten und manches Andere nicht billigen. Was er gegen den rotirenden Schleifstein sagt, wäre zwar zum Theil berechtigt, wenn dieser Gegenstand in dem Abschnitt über die mathematische Theorie der Elastizität behandelt worden wäre; an der Stelle, wo die Betrachtung steht, ist sie aber ganz in der Ordnung, da die Grübler'sche Behandlung, auf die damit hingewiesen werden soll, für die praktische Anwendung genau genug ist, um so mehr, wenn man daran denkt, daß das Steinmaterial, um das es sich handelt, den Elastizitätsgleichungen überhaupt nicht gehorcht. Über die Bemerkungen zu den Hamilton'schen Gleichungen ließe sich wohl reden; aber erst dann, wenn /3/ sich zeigen sollte, daß mit der allgemeineren Darstellung wirklich etwas für die Anwendungen gewonnen würde. Wenn man die Voss'schen Betrachtungen über diese Principien in der "Encyclopädie" gelesen hat, wird man als Techniker gegen den praktischen Werth dieser Sätze recht mißtrauisch. Der große praktische Werth des Hamilton'schen Princips in der erweiterten Fassung für den Techniker besteht jedenfalls einstweilen nur in der Phantasie des Herrn Heun.

Sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie mir gelegentlich einmal mittheilen wollten, welche von den Einwendungen des Herrn Heun Sie selbst als berechtigt empfunden haben. Ich denke natürlich nicht daran, Ihnen zuzumuthen, daß Sie sich die Sache eigens zu diesem Zwecke ansehen; nur wenn Ihnen ein Fehler in meiner Darstellung aufgefallen sein sollte, der Ihnen im Gedächtnisse geblieben ist, wäre ich Ihnen für eine Mittheilung, die Ihnen keine besondere Mühe verursacht, sehr dankbar. Ich würde dann den Gegenstand jedenfalls von Neuem in Erwägung ziehen u. gegebenen Falles eine Änderung herbeiführen.

Ihre Mittheilung über die Spannwerke der Dynamogehäuse war mir von Interesse. Ich habe den Gegenstand auch schon verfolgt /4/ und einer meiner Assistenten sitzt schon seit bald einem Jahre darüber, um eine Doctor-Dissertation daraus zu machen. Meiner Ansicht nach ist es aber nicht zulässig, das verspannte Gehäuse als Fachwerk aufzufassen, da die Biegungssteifigkeit des Rings viel zu groß ist, um sie vernachlässigen zu können. Die Aufgabe wird, wenn man dies mit berücksichtigt, natürlich viel schwieriger, insofern wenigstens als man eine viel größere Zahl von Gleichungen ersten Grades aufzulösen hat. Die Aufgabe ist übrigens eng verwandt mit der Berechnung der Biegungsbeanspruchung eines Schwungrads, wenigstens dann, wenn die Lasten nicht symmetrisch vertheilt sind. Übrigens ist vor einigen Wochen eine Abhandlung von Linsenmann in der Elektrotechnischen Zeitschrift über die Dynamogehäuse erschienen, die auch die Belastung durch die infolge der Deformation auftretenden magnetischen Kräfte Rücksicht nimmt. Diese Arbeit ist aus einer Preisaufgabe an unserer Hochschule hervorgegangen u. auf meinen Vorschlag hin auch mit einem Preise bedacht worden. Die Preisaufgabe selbst war freilich nicht von mir, sondern von einem /5/ elektrotechnischen Collegen gestellt worden.

Meine Abhandlung über das Pendeln der Maschinen werden Sie inzwischen gelesen haben. Wie ich schon erwähnte, läßt sich daran noch mancherlei ändern und verbessern. Sollten Sie noch eine Auskunft dazu wünschen, so stehe ich selbstverständlich sehr gerne zur Verfügung. Ich habe die Absicht, bei der Jubiläumsstiftung der Deutschen Industrie, zu deren Curatoriumsmitgliedern ich zur Zeit gehöre, den Antrag auf Erlaß eines Preisausschreibens einzubringen für Versuche, die zur Prüfung der Theorie des Maschinenproblems dienen sollen.

Mit collegialem Gruße

Ihr hochachtungsvoll ergebener
A. Föppl.

/6/ auf $\infty$ [kleine?] Bewegung. Virtuelle Arbeiten.

[Skizze]

Zentrifugalkraft

[?] des D'Al[embertsche] [?]. Kreisel

weiter s möglich