Weilheim-Ob. d. 6. I. 16.

Lieber Freund!

Bevor ich Weilheim verlasse um nach München zurückzukehren, möchte ich doch noch schriftlich herzlichst dafür danken, dass Sie meiner noch im alten Jahr gedacht haben und mich zum Mitwissenden Ihrer grossen Entdeckung gemacht haben. Wenn ich auch die Sache noch mit Ihnen besprechen muss, bevor mir die ganze Tragweite zum Bewusstsein kommen wird, so verstehe ich schon jetzt so viel, und merke ich an Ihren begeisterten Worten, dass es sich um etwas ganz Fundamentales handelt. Ich kann Ihnen deshalb mit dem richtigen Empfinden sagen, dass ich mich für Sie ausserordentlich freue, dass Ihnen dieser Wurf gelungen ist; ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sehr Sie befriedigt sind. Das sind starke Lichtpunkte in dieser sonst so trüben Zeit.

Die Münchner mathematisch-physikalische Schule ist doch /2/ eine der ersten und besten der Welt geworden!

Külpe's $\dag$ für mich unerwarteter Tod ist mir auch nahe gegangen. ich kannte ihn schon von Würzburg her, und wenn wir uns auch selten trafen, so hatte ich doch mehrmals Gelegenheit, ihn als Gelehrten und als Mensch hoch schätzen zu lernen. Auch er ist im Augenblick unersetzbar. Ich wäre zu seiner Beerdigung gekommen, wenn ich meine Frau an jenem Tag hätte hier allein lassen können.

Dass wir hier so lange aushalten, hat einen Hauptgrund darin, dass der Aufenthalt meiner Frau sichtlich gut bekommt; sie hat sich doch von der großen Schwäche, die sie befallen hatte, ersichtlich wesentlich erholt. Uebermorgen aber geht es heim!

Dann hoffe ich Sie bald zu sehen.

Mit herzlichem Gruss
Ihr
W.C. Röntgen