München, den 2. September 1925.

Herrn Prodessor Dr. P. Goerens.
Essen.
Lieber Herr Kollege!

Mit Ihrem allgemeinen Standpunkte und Ihrer Bewertung der (zum Glück schon überwundenen) Riedler'schen Hochschulreform stimme ich vollkommen überein, wie Sie sich denken konnen. Sie ersehen dies auch aus dem beigelegten Antrag an das Ministerium, der allerdings ein anderes Gebiet[,] die Ausbildung der Lehramtskandidaten betrifft, aber doch von einem ähnlichen Geiste, wie Ihr Gutachten diktiert ist, nämlich von der Ueberzeugung, dass die allgemeine wissenschaftliche Ausbildung das wesentliche ist und dass die speziellen Kenntnisse des engeren Berufes nachzufolgen haben.

Ich nehme an, dass der junge Herr von Bohlen, von dem Sie schreiben, nicht identisch ist mit dem Neffen des Herrn Krupp-Bohlen, der bisher hier studiert hat, sein Studium aber plötzlich abgebrochen hat, weil er offenbar mehr Musiker als Physiker ist. Ferner glaube ich aus Ihrem Brief zu entnehmen, dass Ihr Herr von Bohlen der Kronprinz der Kruppwerke ist und das[s] er entschlossen ist, nach München zu kommen. Ich will nun über die 4 von Ihnen hervorgehobenen Disziplinen einzeln sprechen.

1. Mathematik. Die Behandlung der Mathematik an der Universität richtet sich zu sehr nach den Interessen der reinen Mathematiker oder der mathematischen Lehramtskandidaten. Die Behandlung an der Technischen Hochschule in einer grossen zusammenfassenden Vorlesung von 1-2 Jahren ist für die Anwendungen viel geeigneter. An der T.H. wird die Mathematik etwa in sechs Wochenstunden plus der nötigen Uebungen absolviert, an der /2/ Universität würde derselbe Stoff, in Einzelfächer auseinandergelegt, viel mehr Zeit erfordern.

2. Physik. Die Vorlesung von Zennek an der T.H. ist besonders anziehend und bewegt sich auf einem höheren Niveau, als die besonders für Mediziner eingerichtete Universitätsvorlesung von Wien. Die Zennek'sche Vorlesung beginnt Oktober und könnte gleich zu Beginn des Studiums gehört werden. Das Praktikum sollte Herr von Bohlen aber im Wien'schen Institut mitmachen, da es in der T.H. zu uberfüllt ist. Gewöhnlich wird das Praktikum erst im 2. Studienjahr begonnen, auf Wunsch könnte davon wohl eine Ausnahme gemacht werden. Nach dem Praktikum folgt als wichtigstes eine selbständige physikalische Arbeit, sei es bei Zenneck, mehr nach der technischen Seite oder bei Wien wissenschaftlich vertieft.

3. Mechanik. Wenn Herr v. B. diesen Winter beginnt, könnte er über's Jahr bei scharfem Mitarbeiten bei mir Mechanik und daran anschliessend Hydr[o]dynamik, Elastizität etc. hören. Eigentlich sind diese Vorlesungen für etwas höhere Semester (4.-6.) bestimmt. Sie dienen als Grundlage für das Studium der theoretischen Physik und werden von mir in einem 3jährigen Turnus gelesen. Als Vorbereitung dazu ist eine Vorlesung über Vektorrechnung erwünscht, die jeden Sommer von einem Privatdozenten gegeben wird.

4. Chemie. Diese wäre an der Universität zu hören bei dem Nachfolger von Willstätter, Professor Wieland, aber wohl erst im zeiten Studienjahre zu beginnen und zwar zu Ostern. Das Praktikum würde im 3. Studienjahr folgen, ebenso einiges über physikalische Chemie.

Es ist nicht zu verkennen, dass bei einer solchen Studienordnung die Gefahr der Zersplitterung nahe liegt. Der Stoff geht schon etwas über dasjenige hinaus, was der normale Student der Physik oder Chemie aufzunehmen pflegt. Zu weiteren Auskünften gerne bereit,